Montag, 3. August 2015

Traum vom Eigenheim wird zum Albtraum

Sie waren alle Beide nicht mehr jung. Marlies war doch schon siebenundfünfzig, Bodo elf Jahre älter. Kennengelernt hatten sie sich auf einer Wanderreise im Norden Indiens im Ladakh. Als Bodo mit Durchfall und Fieber im Kamp bleiben musste erklärte sich Marlies spontan dazu bereit, im Kamp bei ihm zu bleiben und Bodo zu pflegen, es störe sie nicht, mal einen Tag lang auszuruhen, denn der Trip war doch anstrengender als sie erwartet hätte. Sie fanden Gefallen aneinander, ja es funkte wie in Teenager-Zeiten. Dies war nun etwa vier Jahre her. Heiraten wollten sie alle Beide nicht mehr, nach schlecht verlaufenen Ehen und noch viel schlechter erlebten Scheidungen. Kinder hatten beide nicht, aber komischerweise waren in beiden Ehen Stiefkinder vorhanden, die die neuen Partner Ihres Elternteils nie akzeptiert und ihnen das Leben zur Hölle gemacht hatten. Sie waren oft zusammen, lebten aber jeder in einer anderen Stadt und Wohnung. Alle Beide, besonders aber Bodo träumten von Gemeinsamkeit, ach wäre das schön zusammen zu wohnen. Du Marlies könntest ja in Rente gehen, dann wären wir beide Ortsungebunden und könnten uns ein Haus kaufen, ein einfaches Haus auf dem Land wäre sicherlich erschwinglich. Das Haus wurde gefunden und erworben, es war beider Traumhaus an einem kleinen Bach gelegen in einem Birkenhain. Da nun alle Beide nicht mehr arbeiteten begannen sie—obwohl sie schon da wohnten—mit der Restaurierung, die immer mehr Schäden und Probleme aufdeckte. Der hübsche Bach liebte ihr Haus so sehr, dass er ihm immer näher kam, sie brauchten professionelle Hilfe. Ihr Erspartes schrumpfte zusehends. Endlich nach fast zwei Jahren Fronarbeit war alles zu einem guten Ende gekommen. Es war kurz vor Weihnacht als Bodo eines Morgens unter der Dusche einen etwa Baumnussgrossen Bobbel unter der linken Achsel entdeckte. Der Bobbel war absolut schmerzlos, Bodo schwieg, erst an Heilig Abend hielt er es nicht mehr aus, seine Sorge und—ja sagen wir es ruhig—Angst wurden zu belastend. Er sagte es beim traditionellen Weihnachts-Essen, das sie der Feierlichkeit halber bereiteten –sie waren beide Atheisten—. Das gute Essen blieb fast unberührt, Marlies war unter Schock und brauchte Trost vom ängstlichen Bodo; so ist es ja oft, dass der Kranke die Gesunden trösten muss. Die Erkrankung war ernst aber nicht Lebensbedrohlich. Es folgte Bestrahlung und Chemotherapie. Dann kam das Frühjahr, an die Realisierung der vielen Reisepläne und an Gartenarbeit war nicht mehr zu denken. Die Distanz des „Traumhauses“ zur Klinik wurde zu einem fast unüberbrückbaren Problem. Bald war es Marlies klar, dass das so ersehnte Haus verkauft werden musste und dass eine Stadtwohnung in der Nähe des Spitals besser zur neuen Lebenssituation passte. Und so wurde aus dem Traum ein Albtraum, der dank des energischen Einschreitens von Marlies zu einem guten Ende kam.

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