Gestern waren wir, ohne es gewollt oder gar geplant zu
haben, in einer vergewaltigungs-Oper. Erwartet hatten wir es nicht, handelte es
sich doch um Hänsel & Gretel von Engelbert Humperdinck, also um eine
Märchenadaptation. Vergewaltigt wurde aber nicht etwa Gretel oder gar Hänsel,
nein Opfer dieser Vergewaltigung waren die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm
oder eher noch ihre Geschichte.
Eigentlich war die Darbietung sehr ansprechend, gut
inszeniert und auch die Schauspieler machten ihre Sache sehr gut, aber eben von
dem—unsere Kindheit begleitenden— Grimm-Märchen war kaum etwas geblieben, keine
Elternintrige, kein verlaufen im Wald mit Brösel und Kieseln. Nur das
Knusperhäuschen war da und die, nach Kinderfleisch lechzende Hexe.
Nachts als ich so im Halbschlaf lag kamen mir Verfilmungen
von Büchern in den Sinn. Auch im Filmen ist meist vom literarischen Werk nicht
viel geblieben, alles muss der sogenannten „Künstlerischen Freiheit“ und wohl
auch den kommerziellen Wünschen der Geldgeber untergeordnet werden.
Eine
sehr bemerkenswerte Ausnahme war die Kino-Adaptation des Romans des russischen
Schriftstellers Wladimir Klawdijewitsch Arsenjew über den Taiga Jäger Dersu Usala
vom Altmeister des Japanischen
Films Akira Kurosawa. Als ich diesen Film in den Siebzigerjahren gesehen habe, also etwa ein
viertel Jahrhundert nachdem ich als Kind den Roman, nicht etwa gelesen, sondern
verschlungen hatte, fand ich alles was ich mir damals vorgestellt hatte wieder.
Auch Werke wie Süsskinds Parfüm sind gut fürs Kino adaptiert worden aber das
sind die löblichen Ausnahmen.