Dienstag, 26. September 2017

Wartezimmergedanken oder Divagationen

Unser Held, na ja eben nicht wirklich heldenhaft, also Gustav—wie üblich in der Schweiz kurz Gusti genannt—also Gusti sass in diesem übervollen diskret nach Urin riechenden Wartezimmer des Urologen. Frauen waren keine da, noch nicht mal als Begleitpersonen, nur alte Männer. Halt ! zwei junge waren auch da, die nervös, beschämt und gestresst aussahen. Und beim Beobachten dieser beiden Nervenbündel erinnerte sich Gusti plötzlich an seine Studenten-Zeit in Paris. Es war lange, sehr lange, her.
Ja in den späten Fünfzigerjahren war er für einige Semester an die Sorbonne gekommen und da war er als „reicher“ Schweizerstudent sehr umworben. In Frankreich galten damals, so kurz nach dem Krieg,  Schweizer immer als wohlhabend wenn nicht gar als reich, dass Gusti von seinem Vater nur recht knapp unterstützt wurde behielt er für sich, zu schön war das Gefühl umschwärmt zu werden. Er führte ein sehr lockeres Leben und so war es nicht erstaunlich, dass er sich mehrmals im Wartezimmer der urologischen Poliklinik einfand. Aids gab es ja noch nicht aber alle anderen sogenannten “Sexuell übertragbaren Seuchen“ wie Tripper Syphilis, Herpes und wie sie alle heissen—als Studius der Geisteswissenschaften war ihm alles Medizinische sehr fremd—waren damals sehr verbreitet.
Nun erinnerten ihn die zwei jungen Wartenden an seine Gefühle damals. Die Behandlungen waren brutal gewesen, Permanganat Spülungen und Silbernitrat-Stäbe von unerfahrenen Assistenzärzten in den Ureter gespritzt oder gar geschoben zu bekommen war kein Vergnügen, denn die damals noch sehr teuren Antibiotika wurden nur wenn unbedingt nötig, also bei Syphilis und Tripper verabreicht; gegen Clamydien und die sogenannten Unspezifischen—weil nicht genau gesuchten und bestimmten—Harnröhren-Infekte wurden auf genannte brutale Art beseitigt. Aber doch und trotz der Folgen balzte er glücklich weiter in der altehrwürdigen Sorbonne und wurde in etwa zum Dauerpatienten der Poliklinik. Trotz allem  beneidete Gusti diese beiden jungen Wartenden, sie, so war Gusti überzeugt, würden geheilt werden, um dann fröhlich der nächsten Ansteckung entgegen zu eilen.  Er und all die anderen alten wartenden Männer würden hier zwar behandelt aber nicht geheilt werden und die meisten davon kämen nicht um eine Operation herum. Ja und dann, so befürchtete Gusti war der Freund Eros oder Amor nur noch ein aus seinem Leben verschwundener Ex-Freund.


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