Donnerstag, 7. Januar 2016

Baugrube

Da standen sie nun Katia und Klaus, mit ihrem Vater im Rollstuhl und ihrer Mutter auf den Rollator gestützt, am Rande dieser, zurzeit verlassenen, Baugrube. Fünf Generationen hatten in diesem, nun verschwundenen Haus, das der Urahn gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts erbaut hatte, gelebt. Nur schweren Herzens hatten sie sich dazu entschliessen können, dem  immer stärker werdenden Druck der Bauunternehmer nachzugeben, die nur noch auf dieses Grundstück warteten um die grosse Überbauung zu beginnen. Endlich hatten sie das Grundstück mit dem Haus  verkauft. Bis vor einigen Monaten wohnten sie ja noch alle vier zusammen hier. Ja erst als die Pflege des Vaters nicht mehr zuhause erbracht werden konnte hatten sie sich dazu durchgerungen die Eltern in ein betreutes Wohnheim zu bringen. Klaus und Katia war es sehr schwer gefallen nicht mehr zusammen zu wohnen. Eigentlich waren sie nie getrennt gewesen, ausser damals als Klaus als Rekrut und dann als Offiziers-Anwärter dem Vaterland diente. Mit den Jahren war die Beziehung zwischen den Geschwistern immer symbiotischer geworden. Beide waren Künstler und sehr sensibel. Katia malte und schrieb Kinderbücher Klaus war Musiker und seit einiger Zeit Direktor der renommierten Musikschule der Stadt. Und nun, ja nun, hatten sie sich entschieden selbstständig zu werden und dies mit etwa fünfzig Jahren zum ersten Mal. Für alle beide war es sehr schwer einen eigenen Haushalt  einzurichten. Die Möbel mit denen sie ihr bisheriges Leben lang vertraut waren hatten sie weggegeben um neu anzufangen, nichts sollte vom alten bleiben nein alles musste neu sein, für beide. Jetzt nach knapp einem Jahr hatten sie sich alle, die Eltern im neuen Wohnheim und die, nicht mehr ganz so jungen Geschwister in ihren beiden  Wohnungen eingelebt. Nun nahmen sie vom Ort ihres bisherigen Lebens Abschied, noch bevor das Grundstück durch den nun bald beginnenden Neubau sozusagen entweiht wurde. Weder Katia noch Klaus konnten sich vorstellen je mit einem anderen Menschen zusammen leben zu können, alle beide fragten sich insgeheim, ob sie es wohl ertragen würden, auf Dauer, in derselben Stadt aber in getrennten Wohnungen zu leben. Die Eltern auf ihre diskrete Art hatten ihre Zweifel von Beginn an geäussert. Besuchen taten sie sich täglich, assen meist mittags zusammen in ihrem Lieblingsitaliener und fragten sich insgeheim—jeder für sich—wie lange es dauern werde bis sie wieder zusammenziehen würden?

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