Patrizia
war seit ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahr gelähmt. Kurz nach ihrer Hochzeit
und der Geburt der „Heiratsgründe“ ein Zwillingspaar Christine und Christian
getauft, erwischte sie der damals grassierende Polio-Virus. Patrizia hatte
also—wie so viele in den späten vierziger Jahren Kinderlähmung. Dank der
beiden, noch rüstigen Omas, wurden die Zwillinge zuhause aufgezogen. Gualtiero,
ihr italienischer Ehemann war Handlungsreisender, er verkaufte sogenannte
Konfektions- Massanzüge, die er den Kunden auf den Leib schneidern liess. Seine
bevorzugte Klientele waren Ärzte, Zahnärzte und sonstige Freiberufler. In
seiner Heimatstadt Prato, nahe bei Florenz gelegen fand man damals die besten
Stoffe und –für Schweizer Verhältnisse—extrem billige Herrenschneider. Diese
Schneider arbeiteten in den Kleiderfabriken der Stadt und verdienten sich
abends noch ein gutes Zubrot. So war
Gualtiero meist die ganze Woche auf Kundschaft und fuhr dann am Wochenende nach
Prato um Anzüge zu holen und neue in Auftrag zu geben. Einige Anzüge pro Woche
am Zoll vorbei zu schleusen war kein grosses Kunststück, es genügte sie, statt
auf Bügeln, im Koffer zu transportieren.
Oft kam Gualtiero wochenlang nicht zu seiner Familie, erstens hatte sich seine
Passion für Patrizia –die ihn ja mit der Schwangerschaft reingelegt hatte—schon
abgekühlt bevor sie richtig aufgeblüht war und zweitens gab es ja überall
schöne—nicht gehbehinderte— Frauen die auf einen so schönen Südländer abfuhren.
Patrizias Beine waren zwar gelähmt, ihr
Becken und der restliche Körper aber nicht. Fast alle jungen—auch sehr jungen
–Männer und Jünglinge in der ganzen Gegend wussten, dass es sich immer lohnte,
Patrizia einen Gefallen zu tun. Man konnte für sie einkaufen gehen oder auch im
Haus helfen denn es gab ja Arbeiten die für die beiden Omas zu schwer waren. Intimer
innigster Dank war ihnen gewiss, denn Patrizia war sehr ängstlich und trachtete
danach nicht allzu oft alleine im Bett
liegen zu müssen. Viele Jahre danach, Gualtiero war schon längst, als starker
Raucher, in die damals grosse
Lungenkrebsstatistik eingezogen, und hatte das Zeitliche gesegnet, nicht ohne
hier und da noch einige Herzen gebrochen und mehrere Kinder gezeugt zu haben.
Christine und auch Christian hatten so bald als irgend möglich die Mutter und
ihre Liebhaber verlassen. Nun kam für Patrizia eine harte Zeit; die Omas waren
längst im wohlverdienten Himmel, sie hatten aber mit ihren knappen Renten einen
nicht unerheblichen Beitrag zum Wohlergehen der Familie geleistet und dies Geld
fehlte nun auf sehr schmerzliche Art und Weise. Patrizia musste ob sie wollte
oder nicht mit noch nicht mal fünfzig in ein Alters und Pflegeheim.
Glücklicherweise standen dort jedoch viele noch recht rüstige Rentner zur
Verfügung, welche sie gerne im Rollstuhl zu den lauschigen Plätzen im Park
schoben und nachts im Bett warmhielten. Den manchmal aufflammenden Streit unter
den Rentnern um die Gunst von Patrizia nahm diese genauso gelassen hin wie die
Direktorin des Heims, die durch diese nächtlichen Aktivitäten viel Beruhigungs
und Schlafmittel einsparen konnte.
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