Sie war 1898 als jüngstes und fünftes Kind in einer behüteten Familie in einer süddeutschen oder österreichischen
Kleinstadt zur Welt gekommen. Mit sechzehn, kurz nach dem Ausbruch des
Krieges—der später als der erste Weltkrieg in die Geschichte einging—heiratete
sie und ihr Tanzschulpartner in den sie
sich schon als Backfisch verliebt hatte. Wie bei so vielen, wurde die Ehe also
etwas überstürzt geschlossen um den jungen Einberufenen Halt
zu geben. Die Flitterwochen dauerte nur drei Tage, die Zeit der Hochzeitsreise in ein Hotel an einem der wunderschönen Seen
der Gegend. Johann fuhr danach in den Krieg und Agathe begann, nach der
erfolgreich bestandenen Reifeprüfung, ob Abitur in Deutschland oder Matura in
Österreich sei dahingestellt, ihr Studium der Philosophie und Germanistik.
Einmal noch kam Johann für eine Woche zum Urlaub, somit dauerte das eheliche
Zusammensein gerade mal zehn ganze Tage und Nächte! Dann kam der so gefürchtete
Brief: auf dem Feld der Ehre, fürs
Vaterland, dessen dank ihm gewiss sei…… Agathe trug‘s mit Fassung und
Würde, verhärtete aber innerlich. Ihre zwei Brüder kamen unversehrt aus dem
Krieg in die Heimat zurück heirateten und gründeten Familien. Auch die Ehemänner der zwei Schwestern hatten den Krieg heil überlebt. Mit der Zeit hatte Agathe elf
Nichten und Neffen. Agathe wurde zuerst Lehrerin später Leiterin einer
Privatschule für „höhere Töchter“. Schon kurz nach Beginn ihrer Lehrtätigkeit
zog sie zu ihren Schwiegereltern in das grosse Herrschaftshaus das in einem
riesigen Park am Stadtrand stand. Die Schwiegereltern waren schon vorzeitig
sehr gebrechlich geworden, der Kriegstod ihrer fünf Söhne hat ihren Lebensmut
gebrochen. Johann war das einzige ihrer Kindere, dass kurz vor dem grossen „
Völkerschlachten“ seine Jugendliebe Agathe geheiratet hatte, die andren vier
sind ohne eine Liebste zurückzulassen gefallen. Agathe hatte nie in Erwägung
gezogen, einem anderen zu gehören, nein treu bis in ihren eigenen Tod wollte
sie Johann bleiben. Sie wurde den Nichten und Neffen eine—zwar sehr strenge
aber helfende—Mentorin für alle schulische Fragen. Viele Jahre später, die
Schwiegereltern waren längst verstorben und Agathe lebte ganz alleine in den
riesengrossen Haus, kamen die Grossnichten und Neffen regelmässig zu der schon
lange im Ruhestand lebenden Grosstante. Jedes Weihnachtsfest wurde die ganzen
Grossfamilie zur Bescherung erwartet, alle Geschenke gehörten unter den
riesigen Weihnachtsbaum. Agathe war aufs Alter hin sehr hager geworden, ihr
Charakter war nun bissig böse. Sommer
wie Winter erwartete sie, dass die Jungmannschaft ihr zu Händen ging. Das Obst
musste geerntet und eingekocht, der Rasen gemäht und die Beete gepflegt werden. Immer
sagte Agathe, ihr seid ja meine ganze Familie und meine Erben, und alleine
schaffe ich das ja nicht.
Als Agathe—fast hundertjährig—eines schönen Tages nicht zum Frühstück kam, wurde sie von der alten
Aufwartefrau tot auf dem Klo sitzend ,mit der verrutschten Brille auf der
langen Nase und einem Buch auf dem Schoss, gefunden. Zur Testamentseröffnung
hatte der Notar alle Verwandten ins Haus bestellt. Nur die Grossneffen und
Nichten erbten. Was sie erbten setzte sie aber doch sehr, zuerst Staunen und
dann in grosse Wut. Alle Familienbilder und Fotos sowie die gesammelten Briefe
und Postkartenalben waren ihnen zugedacht. Haus
und Grundstück hatte Agathe vor Jahrzehnten—ohne irgendeines ihrer Geschwister
zu informieren— einer grossen Immobilienfirma gegen eine stattliche Leibrente veräussert. Übrigens war
dies das schlechteste Geschäft der Käuferfirma, die über dreissig Jahre an den
Vertrag gebunden war und bezahlen musste. Die vielen Möbel und Kunstgegenstände
gingen an das Museum für angewandte Kunst.
Alle Anwesenden gingen somit leer aus. Blickte man in die ungläubig
bestürzten Gesichter glaubte man das hämisch Lachen Agathas zu hören.
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