Ein ganzes
Leben lang hatten sie, Gebhard und Regula nun schon zusammen—nein parallel—gelebt.
Gebhard war als erfolgreicher Arzt immer sehr beschäftigt gewesen, die
gemeinsamen Urlaube—Kinder waren ihnen nicht beschert gewesen—begannen meist
mit einem Kongressbesuch an welchen dann einige Tage, nie mehr als eine gute
Woche, angehängt worden waren. Regula lebte das ganze Jahr über sehr
zurückgezogen, Freunde hatte sie kaum und als ihre Eltern gestorben waren—sie
war ein Einzelkind gewesen—vereinsamte sie immer mehr. Trotz sehr guter
finanzieller Lage lebten die beiden äusserst bescheiden fast schon ärmlich, sie
hatten kaum Ansprüche und ausser Büchern und Schallplatten und natürlich
Originalgrafik, kauften sie nur wenig. So war eine sehr grosse Sammlung von
Kunst zusammengekommen. Wie andere ihre Briefmarkensammlungen zu komplettieren
suchen, hatte Gebhard die Manie alte Stiche zu sammeln. Wenn er einen Stich
hatte musste er unbedingt al l e Stadien dieser Druckgrafik besitzen, dafür war
ihm der Preis nie zu hoch!
Wochenende und
Feiertage verbrachte Gebhard meist mit Musik und dem Betrachten und Ordnen seiner
Kunstblätter. Da er es verabscheute, dass während dem Hören von Musik
gesprochen wurde und es wurde immer Musik gehört, beschränkte sich die eheliche
Unterhaltung auf einige Worte bei Tisch.
Nun hatte
Gebhard die Praxis an einen jüngeren Kollegen übergeben und da er, genauso wie
Regula keine wirklichen Freunde hatte verlief sein Rentnerleben—er war schon
fast achtzig—sehr monoton. Regula zwang ihren Mann, zum Einkaufen mitzukommen,
da sie nicht mehr so viel tragen konnte. Und so kam es regelmässig zu gehässigen
Streitereien, jede Kleinigkeit war Anlass dazu. Bisher schien Gebhard nie
gemerkt zu haben was auf den Teller kam, jetzt sagte er schon im Supermarkt was
alles er nie gemocht hatte. Du, sagte er anklagend zu Regula, hast nie gemerkt
was mir schmeckt und was ich verabscheue! Eines Freitag Morgens, man ging immer
am Freitag zum Einkaufen, eskaladierte der Streit am der Fleischtheke,
eigentlich ging es nur um eine Wurst, Gebhard hingegen schien es „UM DIE WURST“
zu gehen. Fortan schwieg er beim Einkauf. Da beide nie Autofahren gelernt
hatten, musste alles nach Hause geschleppt werden. Meist gingen die beiden nach
dem Supermarkt einen Kaffee trinken um in den Zeitschriften zu blättern. An
einem der nächsten Freitage ging Gebhard nach der Kaffeebestellung kurz raus, wohl
zur Toilette, dachte Regula. Seit diesem Moment blieb Gebhard verschwunden.
Regula war sich
ganz sicher, dass ihm etwas zugestossen sein musste, denn er wäre freiwillig
nie ohne seine Kunstsammlung weggegangen, sagte und dachte sie.
Kein Brief,
kein Lebenszeichen, kein Bankverkehr, einfach weg war er. Hatte er die
Flucht—was sollte es sonst sein als eine Flucht ? vorbereitet.
Nach kurzer
Zeit erkrankte Regula an Demenz, von Gebhard hat man nie mehr etwas gehört.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen