Freitag, 25. Dezember 2015

Weihnachtsabend

Mühsam schleppte sich Sandra den Kirchberg hinauf, es ist ja schön, dass die Kirche hoch über dem Dorfe steht, dachte sie, aber es ist doch sehr anstrengend hinaufzusteige. Sicher gibt es Transporte für die alten Leute, aber nur für diejenigen die regelmässig zum Gottesdienst gehen und deshalb auch abgeholt werden. Sandra glaubte weder an Gott noch an den Teufel, zur Kirche ging sie nur zu Beerdigungen und dann an Weihnachten, so irgendwie aus Tradition, denn ihr Vater war ja in dieser Kirche Pastor gewesen. Beerdigungen waren seit einiger Zeit viel häufiger als Weihnachten und jetzt lag auch Gregor, ihr Lebenspartner—geheiratet hatten sie nie—im Krankenhaus. Gregor war am Tag vor Heilig Abend zum Arzt gegangen wegen seines starken Hustens. Wie erstaunt war er, dass Doktor Zweifels Schild nicht mehr an der alten Eichentür hing, sondern das Schild eines Doktor Arnold. Die Praxishilfe war noch die alte Frau Herbert, die ihm erklärte, dass Doktor Zweifel nun seine Praxis dem jungen Doktor Arnold übergeben habe. Es war schneller geschehen als erwartet, weil Doktor Zweifel dringend eine Operation über sich ergehen lassen musste, darum war keine Zeit geblieben die Patienten zu informieren. Doktor Arnold bestand darauf, dass Gregor sofort, also heute noch zum Röntgen ins Spital ginge. Und da haben sie Gregor sofort dabehalten. Wäre Doktor Zweifel noch dagewesen, hätte er ihm Hustensaft und Bettruhe verordnet und dann nach Neujahr zum Röntgen geschickt, aber eben das war die alte Methode, heutzutage geht alles Ruck Zuck, zum Wohl des Patienten? Was wird nun mit Gregor?; im Spital haben sie gesagt, dass es wohl zu spät für eine Operation sei. Wird er sterben fragte sich Sandra? Und wie soll ich ohne ihn weiterleben? Plötzlich, mitten in einem der Gebete kam ihr die Erleuchtung, fluchtartig verliess sie die Kirche und  ging so schnell es ihre alte Beine und der frische Schnee erlaubten den Hügel hinab und eilte zum Spital um ihren Gregor  den Fängen der Medizin zu entreissen.  Sie musste laut und energisch werden um Gregor endlich nach Hause zu bekommen, wo sie gemeinsam zu sehr später Stunde ein einfaches Mitternachtsessen mit einer Flasche vom besten Wein der noch im Keller lagerte, zu geniessen. Vergessen war Arzt Krankheit Himmel und Hölle, nur das unbeschreiblich schöne Gefühl, welches ein guter Rotwein bewirkt blieb, bis beide Arm in Arm auf dem Sofa einschliefen. Ins Bett zu gehen wäre wohl viel zu beschwerlich gewesen. Vor dem Einschlafen murmelte Gregor ein kaum hörbares Frohe Weihnachten dann fing er leise an zu schnarchen.


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