Samstag, 12. November 2016

Tiziano

Nur weil die Hebamme, die Tiziano zur Welt gebracht hatte betrunken war und bei seiner Mutter da unten—wie man damals verschämt diskret sagte—viel Schaden angerichtet hatte, sodass  man ihr im Spital die Gebärmutter rausschneiden mussten, ist Tiziano als Einzelkind aufgewachsen. Seine Eltern, Dante und Elvira verliessen ihre Norditalienische Heimat um ihr Glück in dieser Schweizer Kleinstadt im Jura zu suchen. Sie wussten ja nun, dass sie nur ein einziges Kind haben würden und dies war damals sehr ungewohnt, kamen doch beide aus Grossfamilien. An seinen Vater konnte sich Tiziano nur sehr schwach erinnern, als er knapp vier Jahre alt war, wurde Dante von der Polizei abgeholt. Was man ihm vorgeworfen hatte erfuhr Tiziano nie, Elvira wollte nicht über „diese Sache“ reden. Aber dass Dante sich im Gefängnis erhängt hatte war für die Mutter eine bleibende Schande und für Tiziano ein lebenslanges Fragezeichen.
In der Schule kam er mehr schlecht als recht mit. Lesen und Rechnen konnte er wie viele seiner Mitschüler. Es genügte um die grossen Titel der Zeitungen zu lesen und, wenn die Worte nicht zu schwierig waren, auch zu verstehen. Eine richtige Lehre hat Tiziano nie gemacht. Aber er arbeitete als Hilfsarbeiter mal beim Schlosser mal beim Schreiner, mal in irgendeiner Werkstatt mal auf Baustellen. In den frühen Fünfzigerjahren hatte er genug erspart um sich ein kleines Atelier einzurichten. Dass die immer sparsame Mutter Elvira, die ihr Geld mit Waschen und Putzen verdiente, einen Grossteil mitfinanziert hatte war in dieser Zeit selbstverständlich, genauso selbstverständlich war, dass Tiziano, trotz eines sehr „leichten“ Lebenswandels, es vermied heiraten zu müssen um sich seiner Mutter zu widmen.
Sein Atelier nannte er REPARATIONS DE TOUT GENRE, BOIS, METAL, PIERRE ETC. (Reparaturen jeder Art Holz, Metall, Stein etc.)
Mit seinen 30 Jahren hatte er so viele Erfahrungen gesammelt, dass er fast alles reparieren konnte. Rief man ihn für eine Arbeit, sah er sich‘s an und sagte sofort, da müssen sie den Schreiner, Maurer Spengler etc. kommen lassen, wenn er auch nur einen kleinen Zweifel hatte es selbst machen zu können ;dies war aber eher selten. Sein Geschäft florierte. Abends fing er an mit elektrischen Geräten—die ihm Kunden gaben oder die er auf der Müllhalde fand—zu pröbeln. Bald schon schrieb er auf sein Ladenschild auch noch ELECTRICITE.
Tiziano ging gerne und oft ins Kino, alleine ins Kino, denn er wollte nie eine seiner vielen Gelegenheits-Geliebten kompromittieren—und vor allem seine Freiheit und Ruhe geniessen.
Seine Mutter Elvira hatte ihn natürlich katholisch erzogen, sie selbst war oft in der Kirche und kümmerte sich um noch ärmere Alte.  Tiziano ging sonntags—seiner Mutter zu Liebe—mit ihr zur grossen Messe, obwohl sein Glaube mehr als wacklig war. Elvira beichtete jedes Mal, obwohl sie sicher nichts Böses zu berichten hatte. Eines schönen Herbsttages hatte Tiziano—als er auf die Mutter wartete—einen Geistesblitz. Aus den Spionagefilmen wusste er was Wanzen waren und wie man sie versteckte. Bei der nächsten Reparatur zu der ihn der Pfarrer gerufen hatte baute Tiziano Wanzen in den Beichtstuhl. Was er dann hörte war nicht nur Interessant sondern auch sehr nützlich! Dass viele Frauen—er erkannte fast alle an ihrer Stimme—dem Pfarrer intimste Geheimnisse verrieten und auf die insistierenden Fragen des Geistlichen-Lüstlings auch noch bis ins kleinste Detail gingen um eine Absolution zu ergattern, liess Tiziano erst Mal sprachlos. Dann, als der Herr Pfarrer einige der jüngeren hübscheren auch noch zu einem Gespräch ins Pfarrhaus lockte, war Tizianos Entschluss gefasst! er wollte teilhaben an des Pfarrers Harem.
Bei der nächsten Gelegenheit verwanzte er das Schlaf und Arbeitszimmer des „Heiligen-Mannes“
Tiziano kannten fast alle in der Stadt und viele nahmen seine Dienste sei’s im Haus oder im Garten sehr oft und gerne in Anspruch. 
Genötigt oder gar erpresst hat Tiziano nie, aber seine erlauschten Kenntnisse der dunklen Seite der Frauen die er sehr subtil erwähnte öffneten ihm manches Mieder und viele Betten. Und so bereute Tiziano noch weniger dem heiligen Stand der Ehe entsagt oder widerstanden zu haben.

PS: Die Beichten seiner Mutter wollte er sich—verständlicherweise—nicht anhören.








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen