Dienstag, 1. November 2016

Der Erbonkel

Schrullig war er, der Onkel Willibald, dabei immer zu Scherzen aufgelegt. Sein heute eher ungewöhnlicher Namen erfüllte ihn mit Stolz, er sagte immer, Gluck wäre ein noch besserer Komponist geworden, wenn seine Eltern ihm den Namen Willibald, statt des banalen Christoph, als ersten Namen gegeben hätten und sein dröhnendes Gelächter erfüllte das verrauchte Zimmer des Onkels. Alle Nichten und Neffen gingen gern zu ihm, er erzählte die skurrilsten Geschichten und die unglaublichsten Lebenserinnerungen. Jetzt lebte er in einer kleinen Wohnung unmittelbar im Stadtzentrum. Willibald lebte sehr gut von seinem Ersparten—oder eher von den Erträgen seines beträchtlichen Vermögens. Eigentlich war er der Grossonkel, der Bruder der alten Uroma, die nie antwortete wenn die Urenkel und Grossneffen und Nichten das Gespräch auf den kauzigen Alten brachten. Willibald hatte viele Reiseerinnerungen aus aller Welt mitgebracht die er immer mal wieder vorzeigte, die dazugehörigen Geschichten variierten zwar immer ein klein bisschen, aber in dem Alter darf das Gedächtnis ja mal leicht gestört sein, dachten die jungen Besucher. Süssigkeiten und Cola war immer da, Willibalds Bitte—hol doch mal die Keksdose aus dem Schrank—wurde gerne befolgt, leer war die Dose—eigentlich waren es deren viere!— nie. Oft erzählte, oder besser gesagt fabulierte er über seine Besitztümer; besonders gerne machte er Andeutungen über einen ominösen Berg, den er besitze und den er seinen Erben auch hinterlassen werde; alle Nichten und Neffen, nein Grossnichten und Grossneffen werden sich mein Erbe teilen wenn ich dann einst—er war schon weit über neunzig—in die ewigen Jagdgründe gehe sagte er unter verhustetem Lachen. 
Kurz nach seiner Schwester, der Uroma, die er seit Menschengedenken nicht mehr gesehen hatte, starb auch  Willibald, einfach so, ohne krank gewesen zu sein. Man fand ihn, in seinem Lehnstuhl, die erloschene Havanna noch zwischen den Fingern mit geschlossenen Augen und einem Lächeln um den zahnlosen Mund, eines Morgens tot auf.  
Bei der nach einiger Zeit anberaumten Testamentseröffnung erfuhren die potenziellen Erben wo der ominöse Berg sich befand, er befand sich in Utopia, denn alles was Willibald hinterlassen hatte waren die vier Keksdosen und ein riesiger Schuldenberg. Traurig aber auf realistisch-vernünftige Weise schlugen die Grossnichten und Neffen  die Erbschaft aus und verzichteten damit auch auf die immer so geliebten Keksdosen mit den nun ausgetrockneten Keksen.


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