Mittwoch, 26. April 2017

Back to the Roots

José war in den Vororten von Manila zur Welt gekommen. Eltern kannte er nicht, nur eine grosse Schwester. Seine ersten Erinnerungen beschränkten sich auf die Arbeit auf der riesigen Müllhalde. Weil er für sein Alter noch sehr klein  aber alles andere als dumm war schickten ihn die grösseren Kinder—die Anführer—in die Gruben im Müll um zu sehen ob sich das Graben an dieser Stelle lohnen könnte. Wie alt er war wusste er nicht aber irgendwas zwischen fünf und sieben. Er war ein sehr schönes Kind, das fiel auch einigen Touristen, die eine Erlebnistour zu den pittoresken Orten der Stadt, wie Märkten, Rotlicht-Vierteln, Hahnenkampfarenen, Boxkampf-Ringen  und eben Müllhalden gebucht hatten, sofort auf. Zwei Männer, die zusammen diese Erlebnisreise machten, verknipsten mehrere Filme—es war vor dem digitalen Zeitalter— um den süssen kleinen Jungen zu verewigen.
Am nächsten Morgen waren die zwei Freunde mit einem Taxi zur Müllhalde gefahren. José glaubte ihren Versprechen von einem besseren Leben nur halb, aber schlechter als  hier, wo er von den grossen Jungen wie ein Sklave gehalten und ausgebeutet wurde, konnte es sicher nicht sein.
Es war anders schlimm. Zwar war keine  Gewalt mit im Spiel, aber ein Spiel war es sicher nicht. Immerhin war er nun in Europa. Madrid gefiel ihm gut, man sprach ja spanisch genauso wie in Manila und das was die beiden neuen „Papis“ von ihm wollten war zwar eklig tat aber nicht weh……
Einige Jahre später, die beiden „Papis“ hatten sich getrennt landete José wieder auf der Strasse. Wie man an Geld kommt wusste er, aber stehlen wollte er nicht und so blieb ihm nur der—zwar eklige aber— sehr einträgliche Weg übrig. Lesen Schreiben und Rechnen hatte er bei den „Papis“ recht gut gelernt-zur Schule konnte er als „ Sans-Papiers“ natürlich nicht geschickt werden. Zwar hatten die „Papis“ anfangs versucht ihn zu adoptieren, es hatte aber nicht geklappt. Wie José von der Polizei aufgegriffen und der Jugendbehörde anvertraut wurde, und wie er dann doch noch zu Papieren kam ist unwichtig für diese Geschichte.
Nun arbeitete José schon seit einigen Jahren am Flughafen in Madrid. Er lud und entlud Flugzeuge, legte das Gepäck auf Förderbänder und hoffte irgendwann zur Putz-Equipe—die die Flugzeuge aufräumen— wechseln zu können.
Endlich wurde sein Wunsch erfüllt, er kam zum ersten Mal in ein Grossraumflugzeug zum Putzen. Und da hatte er blitzartig ein Gefühl von „Déjà-vu“;
José sah sich im First-class Abteil mit dem Kniehohen Müll wieder in seine heimatliche Müllhalde zurückversetzt.





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