Mittwoch, 19. August 2015

Lebenslüge

Er, nennen wir ihn José, war mit etwa einem  Jahr mit seiner verwitweten Mutter nach Buenos-Aires gekommen. Geboren war er in Wien. Dort hatten seine Eltern sich ja auch kennen und lieben gelernt. Ja geliebt hatten sie sich auf eine unvergleichliche fast schon schmerzhafte Art, so erzählte es seine Mutter Margot ihrem José nun schon seit seiner frühsten Kindheit. Auch sagte sie ihm immer, dass sein Vater Lionel kurz nach seiner Geburt an einem falsch behandelten geplatzten Blinddarm auf einer Geschäftsreise im fernen Galizien in der Stadt Lemberg verstorben war. Du, José, bist Halbwaise, aber glücklicherweise hatte dein Vater mir schon bei der Hochzeit ein recht ansehnliches Vermögen überschrieben. Margot, seine Mutter, hatte schon nach wenigen Jahren alle Kontakte in der alten Heimat abgebrochen, ausser zu einer ihrer Schwestern, Bertha, die sie schon bald nach Argentinien nachkommen liess. Warum sie dies getan hatte wurde José schon als Kind klar, Margot –seine geliebte Mamma—brauchte ausser ihm noch jemanden dem sie ihren unbeugsamen Willen aufzwingen konnte und dazu war die leicht hinkende, arme, schüchterne Bertha wie geschaffen. Margot führte mit ihrer Schwester und dem Sohn einen recht grossen Haushalt. In den ersten Jahren hatte sie immer wieder freundschaftliche Männerbekanntschaften; die Männer verschwanden meist nach nicht allzu langer Zeit und dies fast immer nach einem, unüblich heftigen, Streit. Ja Margot war extrem zänkerisch und rechthaberisch. Mehrere Wirtschaftskrisen hatten das stattliche Vermögen Margots und das eigentlich „Mündelsichere Kapital „ Josés schmelzen lassen .Margot, die nun ihre Schwester-Dienstmagd nicht mehr als gratis Hilfe sondern als zu stopfendes Maul ansah ,sann auf Abhilfe. Die glänzende Idee war bald gefunden, José war schliesslich Österreicher von Geburt, also konnte man ja ein Stipendium für sein Studium beantragen, denn er war, im Gegensatz zu Mutter und Tante nicht  Argentinier geworden, warum wusste José –eigentlich Josef—nicht.  Dem Antrag wurde stattgegeben und so flog José nun nach Wien. Wie gross war seine Überraschung, als er am Flughafen Wien-Schwechat von einer Dame mittleren Alters ,die eine grosse Karte mit seinem Namen  in der Hand hielt, abgeholt wurde. Diese Dame zerstörte ohne es zu wollen das Lügenpaket das Margot ihrem Sohn seit nunmehr achtzehn Jahren aufgetischt hatte. Sie, die Dame am Flughafen, begleitete José in ein schönes altehrwürdiges Hotel den „ König von Ungarn“ und dort in dem wunderschönen Innenhof bei einem erfrischenden Getränk erzählte ihm diese Dame, die die Sekretärin einer grossen Firma war, dass sein Vater—der in Lenbach verstorbene—sie beauftragt habe sich um ihn den Sohn zu kümmern. Sehen, nein sehen wollte sein Vater ihn nicht, zu schlimm waren die Erinnerungen an und zu teuer war die Scheidung von seiner Mutter Margot gewesen um nun diesen Sohn kennenzulernen. Die nette Dame, die schon seit vielen Jahren die Vertraute des Vaters Lionel war, erzählte dem staunenden José, wie seine Mutter den Studenten Lionel umgarnt hatte, wie sie zuerst liebenswürdig und charmant, und geradezu  devot gewesen war bis sie dann ein Kind erwartete. Lionel heiratete sie trotz heftigen Widerstands der Familie und aus der  liebenswürdigen  Margot wurde in wenigen Wochen eine unerträgliche Furie. Die Scheidung, kurz nach Josefs Geburt –den sein Vater n i e sehen wollte und auch nie gesehen hatte—war für Lionel extrem schwierig und ruinös; für Margot hingegen bedeutete diese Scheidung das ganz grosse Los. Lionel willigte nur dazu ein, wenn Margot und der kleine Josef sofort und definitiv aus Wien, Europa und vor allem aus Lionels Leben verschwinden würden.  

     Nun hatte Margot—weil das Geld weg war—auch dieses Versprechen dadurch gebrochen, dass sie ihren Sohn als Lockvogel nach Wien geschickt hatte. Aber Lionel bleibe stahlhart, solle sie, die Vertraute des Vaters, ihm bestellen. Er habe ja vom Staat ein Stipendium erbeten aber der Staat—der den steinreichen Vater natürlich ausfindig gemacht hatte—bat diesen nun zur Kasse. Vom Vater gebe es, ausser den auf das strikte Minimum berechnete Studiums-Kosten keinen Schilling, punkt Schluss und auf nimmer wiedersehen. Monatlich werde auf ein Konto ein minimaler Betrag zum Lebensunterhalt überwiesen, wie er mit dem wenigen Geld zurechtkommen würde sei sein Problem und nicht das von seinem erpressten Vater .Das Zimmer ist für eine Woche im Voraus bezahlt sagte die Vertraute des Vaters und empfahl sich. Zurück blieb ein José, dem alle Träume und Illusionen so plötzlich abhandengekommen waren..         

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