Donnerstag, 26. Januar 2017

Bettler

In den Achtzigerjahren war ich sehr oft in Paris, meistens fuhr ich am Donnerstagabend hin und am Montag früh zurück; immer mit dem TGV ab und  nach Lausanne wo ich damals wohnte. Meist war ich –da ich damals sehr wenig Schlaf brauchte—schon sehr früh unterwegs. Gerne fuhr ich mit dem Bus rund um die Stadt. Es gab und gibt wohl immer noch die Linien PC  Petite-Ceinture, die umfahren Paris von Porte(Tür) zu Porte. Es war immer ein Genuss den Diskussionen der arbeitenden Bevölkerung zu lauschen, irgendwo auszusteigen und einen Café zu trinken um dann mit dem nächsten Bus weiter, oder mit der Metro anderswohin, zu fahren. Selbst zu so früher Stunde, etwa ½ sechs waren schon Bettler am Werk, weniger im Bus mehr in der Metro. So früh morgens waren kaum Touristen unterwegs, nur Einheimische—das heisst Menschen die zwar nicht unbedingt aus Paris stammen aber hier heimisch geworden sind—und diesen gegenüber waren die Bettler viel aggressiver und direkter als dann tagsüber bei den Touristen.
Irgendwie berührte mich die zur Schau gestellte Armut, manchmal gab ich etwas Kleingeld oder eine Zigarette—damals rauchte ich noch—meist blieb ich aber, wie die meisten Fahrgäste frei nach Brecht: „Hart und Herzlos“. Zu dieser Zeit dachte ich viel über mich, das Leben und die Gesellschaft im Allgemeinen nach. Bettelten diese Leute wirklich aus Notwendigkeit, also Armut, oder eher aus Faulheit?? Ich fragte mich einfach so, in Petto, ohne anzuklagen. Dann fasste ich einen Entschluss,  ich brauchte eine Antwort auf die vielen Fragen. Beruflich war ich an genaue Statistiken gewöhnt, jetzt beschloss ich einen Test zu machen.
Ich ging zur Post und wechselte hundert Francs in ebenso viele Münzen und fuhr ab ½ sechs kreuz und quer durch Paris, jeder der mich anbettelte bekam einen Hundertstel meines Kapitals. Circa um ½ acht war mein Kapital ausgegeben, ich war um hundert Francs ärmer und hundert Bettler um je einen Franc reicher. Und ich war um eine Erfahrung reicher. Meine Lebensqualität wurde nicht beeinflusst, da es sich nur um eine Einzelaktion handelte, ob die Bettelnden besser lebten dank meines Obolus sei dahingestellt. Eine Überzeugung bleibt mir, weder ich noch all die normal arbeitenden würden, auch wenn wir noch viel mehr gäben, die Armut zum Verschwinden bringen und auch das schlechte Gefühl, hart zu bleiben gegenüber der Misere der Menschen, ändert nichts daran.


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