Mittwoch, 18. Januar 2017

Warten

Nicht nur auf Godot!

Das ganze Leben lang wird gewartet. Früher war dem nicht so, denn in einfachen Gesellschaftssystemen wie bei den Menschen in der Landwirtschaft  ging man gemeinsam aufs Feld und kam zusammen zurück, Termine gab es nicht. Heute ist das ganz anders, man reiht sich fast überall in mehr oder weniger lange Warteschlangen ein. Im Supermarkt zum Beispiel, erst an der Fleischtheke, dann an dem Fischstand, auch für Käse stellt man sich an und wartet und dann natürlich an der Kasse. Bei jedem Gang auf Ämter ist es dasselbe anstehen und warten. Ruft man Ämter oder Dienstleister an kommt man in eine Warteschlange die oft Zeit und vor allem Nerven kostet. Man wartet am Bahnhof auf, wahlweise  Familie, Verwandte, Freunde, Freundinnen, Geliebte oder Liebhaber, Verlobte also Braut oder  Bräutigam. Das Warten ist sehr unterschiedlich ob man auf dem Bahnsteig steht, also einen Ankommenden erwartet oder in der Bahn beziehungsweise im Flugzeug sitzt und auf  die Ankunft oder Landung wartet. Kommt die erwartete Person auch? oder holt man mich sicher ab und wenn nicht was mache ich dann? Hat der Zug oder das Flugzeug Verspätung fängt man oft an sich düstere Gedanken  zu machen……..
Durch meinen Beruf im Aussendienst habe ich ja beinahe ein Leben lang das Warte sozusagen professionalisiert; habe täglich einige Zeit—oft mehrere Stunden pro Tag— in Wartezimmern oder Nebenräumen zugebracht bis ich dann zum Kunden gebeten wurde.
Die aufliegende Literatur—meist zerlesene Illustrierte—langweilte mich meist; allerdings gab es einige Kunden, auf deren Wartezimmer-Literatur ich mich freute, allerdings waren dies meist Kunden wo das Warten dank guter Organisation nur kurz war.
Ich habe schon kurz nach Beginn meiner Reise-Tätigkeit begonnen immer ein bis zwei  Bücher in meine Mappe  zu stecken. Ausserdem musste ich oft in Kaffeehäusern oder bei gutem Wetter auf Parkbänken auf den nächsten Termin warten, lesend warten ist doch klar.
Und nun überlege ich mir, wie viele Stunden ich in den über fünfzig Jahren Berufstätigkeit, gelesen habe? Es sind bei nur 3 Stunden Täglich aber es waren wohl mehr im Durchschnitt zwischen 30 und 40 TAUSEND Stunden Lektüre. Bei weitem nicht alles war hochstehende Literatur aber doch sicherlich ein nicht unbeträchtlicher Teil!
Jetzt als Rentner habe ich eigentlich nicht viel mehr Zeit zum Lesen, ausserdem lese ich nun 
l a n g s a m e r  und muss meinen Augen immer Mal wieder eine Ruhepause gewähren.
Aber noch einmal zurück zum Warten, seit wir, als Kind oder Jugendlicher begriffen haben sterblich zu sein warten wir doch irgendwie auf den Tod,
ob ängstlich oder abgeklärt, aber warten tun wir alle. Das viele Lesen hat mir sicherlich dazu verholfen dieses Warten sehr gelassen anzugehen und zu relativieren, denn durch gute Literatur wird der Horizont so erweitert, dass man weit über seine eigene Nasenspitz hinaus sieht.



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