Dienstag, 17. Februar 2015

Friedhofsruhe

Lisbeth nahm es noch nie genau mit der Wahrheit und der Redlichkeit; man kann auch mit Fug und Recht die Behauptung aufstellen dass sie  ihr Leben lang eine Lügnerin und Betrügerin gewesen war. Sie hat sich von einer Betrügerei zur nächsten durchgemogelt, hatte aber erstaunlicherweise nie mit dem Gericht zu tun gehabt, wohl wegen ihrer Unverfrorenheit und sicher wegen ihres Charmes. Ja charmant war sie schon als kleines Kind gewesen. Nicht nur ihre Eltern, auch alle die anderen Erwachsenen, seien es Lehrer, Nachbarn, Ladenbesitzer—sie klaute was erreichbar war—einfach alle wickelte sie genussvoll um ihre kleinen Fingerchen. Sie war nicht schön, nicht mal hübsch gewesen aber sie hatte das gewisse Etwas, das viele Männer zu hilflosen Hampelmännern machte, das wusste sie schon als junges Ding und nutzte es, ganz instinktiv, aus. Geheiratet hatte sie nie, Beziehungen hatte sie sehr viele gehabt, ja sie benahm sich wie jemand der eine Frucht auspresst und sie dann wenn nichts mehr zu pressen ist wegschmeisst und sich eine neue nimmt. Sie brachte es sogar fertig, dass die ausgenutzten betrogenen Partner ihr nach der oft abrupten Trennung nicht nur nicht böse, nein sogar noch immer hörig waren. Oft verschwand sie mit allen Wertsachen und natürlich dem vorhandenen Bargeld, spurlos und ward oft jahrelang nicht mehr gesehen. Irgendwann tauchte sie dann wieder auf und tat als sei nichts geschehen. Jeder ihrer vielen Partner lebte in einem anderen Landesteil so dass ihr Verschwinden problemlos erfolgte, denn da nie jemand klagte wurde sie auch nicht gesucht. Sie überlegte sich nie wie sie das nächste Opfer finden könnte, es passierte einfach. Sie begegnete den potenziellen Opfern irgendwie und irgendwo, in Kaffeehäusern Museen, Kinos, Spazierwegen selbst in politischen Versammlungen hatte sie schon ihre Angel erfolgreich ausgeworfen. Sie vermied es in bestehende Beziehungen einzudringen, denn sie vermied alles was zu Komplikationen führen würde, bröckelnde Beziehungen hingegen waren das ideale Jagdrevier. Was ihr bei ihren Eroberungen sehr zu statte kam,  war dass sie eine begnadete Schauspielerin war, denn sie spielte, trotz einer, wohl angeborenen Frigidität, die passionierte Liebhaberin. Sie akzeptierte alles aber auch wirklich alles ohne je etwas dabei zu fühlen, weder Freude noch Ekel nur Gleichgültigkeit und lange Weile. Dies war auch eines der Geheimnisse ihres Erfolgs, nie hat einer ihrer Partner sie durchschaut. Jetzt, wo  allmählich ihr Alter nicht mehr zu verstecken war, musste sie sich etwas neues einfallen lassen; und so kam es ,dass man sie mal hier mal dort als trauernde Witwe tief schwarz bekleidet auf den Friedhöfen verschiedener Städte sah. Sie suchte sich nur die Witwer aus, die der Todesanzeige nach, ohne Kinder waren, das war auch der Grund der vielen Reisen von Stadt zu Stadt, denn es gab gar nicht so viele Kindelose Paare also eben auch wenig kinderlose trauernde Witwer. Ihre Strategie hatte sie auch überdenken müssen, denn Witwer wollen heiraten! Kochen, Waschen,  Jasagen war nicht ihr Ding, aber so tun als ob bis… ja bis der ertragreiche Abgang gefunden war, das kannte sie ja seit ihrer frühen Kindheit.  Oder war ein noch radikalerer Weg angesagt, heiraten und dann bald selbst verwitwen?   Das waren so ihre Gedanken, als sie diesen gebrechlichen Herrn am frisch aufgeschütteten  Grabe    zwei Reihen weiter sah. Es war ein Familiengrab und sah nicht gerade ärmlich aus, nein eher das Gegenteil. Sie ging näher und sah, auf den noch frischen Kränzen viele Namen aber keine Aufschriften wie „Deine Kinder, der lieben Mutter etc.“ Lisbeths Interesse war geweckt und als der gebrechliche Herr sein Mobil-Phone in seine zittrigen Hände nahm um ein Taxi zu rufen, war sie zur Stelle, bot ihm an, ihn ,da sie nichts anders zu tun hatte, hinzufahren wo immer er hin musste. Sie hatte keine Mühe, ihn zu einem Kaffee zu überreden. Und so nahm die Fatalität ihren Lauf. Sie stimmte ihm zu, ganz alleine in so einem grossen Haus, einfach schrecklich. Ich, sagte Lisbeth, habe alles verkauft und wohne nun möbliert. Bald schon insistierte Hektor, so hiess der gebrechliche Greis, sie solle doch zu ihm ziehen, das Haus ist ja gross genug und es ist doch schöner ein wenig Gesellschaft zu haben und  nicht alleine essen zu müssen. Dienstboten hatte er keine, aber eine Zugehfrau die die täglichen Besorgungen, das Reinemachen  und das Kochen besorgte. Dies freute Lisbeth, denn Haushaltsarbeit war nun mal wirklich nicht ihr Ding. Sie zog ein, erst mal für kurze Zeit in das Gästezimmer, was heisst da Zimmer es war eigentlich ein kleines Appartement, doch bald schon zu Hektor dem durch ihre Präsenz neue, schon längst vergessene, Gefühle und Kräfte erwuchsen. Um Erfolg mit ihrem Plan zu haben, musste sie zum ersten Mal in ihrem bewegten Leben mit der bisher so erfolgreichen Tradition brechen; sie nahm den, nach gebührlicher Zeit ausgesprochenen, Heiratsantrag strahlend an. Wie sie zu den chemischen Hilfsmitteln kam, die der Arzt Hektor nicht verschreiben wollte da er für seinen Patienten, dessen Herz sehr geschwächt war, das schlimmste befürchten musste, ist nicht nachzuvollziehen. Ob sie  es auf den Seychellen wo sie die Hochzeitsreise hinführte oder doch schon vorher in der Schweiz besorgt hatte sei dahingestellt, sicher ist, dass der Orgasmus den Hektor erlebte sowohl sein schönster und heftigster, als auch der letzte wurde.


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