Lisbeth nahm es noch nie genau mit der Wahrheit und
der Redlichkeit; man kann auch mit Fug und Recht die Behauptung aufstellen dass
sie ihr Leben lang eine Lügnerin und Betrügerin gewesen war. Sie hat sich
von einer Betrügerei zur nächsten durchgemogelt, hatte aber erstaunlicherweise
nie mit dem Gericht zu tun gehabt, wohl wegen ihrer Unverfrorenheit und sicher
wegen ihres Charmes. Ja charmant war sie schon als kleines Kind gewesen. Nicht
nur ihre Eltern, auch alle die anderen Erwachsenen, seien es Lehrer, Nachbarn,
Ladenbesitzer—sie klaute was erreichbar war—einfach alle wickelte sie
genussvoll um ihre kleinen Fingerchen. Sie war nicht schön, nicht mal hübsch
gewesen aber sie hatte das gewisse Etwas, das viele Männer zu hilflosen
Hampelmännern machte, das wusste sie schon als junges Ding und nutzte es, ganz
instinktiv, aus. Geheiratet hatte sie nie, Beziehungen hatte sie sehr viele
gehabt, ja sie benahm sich wie jemand der eine Frucht auspresst und sie dann wenn
nichts mehr zu pressen ist wegschmeisst und sich eine neue nimmt. Sie brachte
es sogar fertig, dass die ausgenutzten betrogenen Partner ihr nach der oft
abrupten Trennung nicht nur nicht böse, nein sogar noch immer hörig waren. Oft
verschwand sie mit allen Wertsachen und natürlich dem vorhandenen Bargeld,
spurlos und ward oft jahrelang nicht mehr gesehen. Irgendwann tauchte sie dann
wieder auf und tat als sei nichts geschehen. Jeder ihrer vielen Partner lebte
in einem anderen Landesteil so dass ihr Verschwinden problemlos erfolgte, denn
da nie jemand klagte wurde sie auch nicht gesucht. Sie überlegte sich nie wie
sie das nächste Opfer finden könnte, es passierte einfach. Sie begegnete den
potenziellen Opfern irgendwie und irgendwo, in Kaffeehäusern Museen, Kinos,
Spazierwegen selbst in politischen Versammlungen hatte sie schon ihre Angel
erfolgreich ausgeworfen. Sie vermied es in bestehende Beziehungen einzudringen,
denn sie vermied alles was zu Komplikationen führen würde, bröckelnde
Beziehungen hingegen waren das ideale Jagdrevier. Was ihr bei ihren Eroberungen
sehr zu statte kam, war dass sie eine begnadete Schauspielerin war, denn
sie spielte, trotz einer, wohl angeborenen Frigidität, die passionierte
Liebhaberin. Sie akzeptierte alles aber auch wirklich alles ohne je etwas dabei
zu fühlen, weder Freude noch Ekel nur Gleichgültigkeit und lange Weile. Dies
war auch eines der Geheimnisse ihres Erfolgs, nie hat einer ihrer Partner sie
durchschaut. Jetzt, wo allmählich ihr Alter nicht mehr zu verstecken war,
musste sie sich etwas neues einfallen lassen; und so kam es ,dass man sie mal
hier mal dort als trauernde Witwe tief schwarz bekleidet auf den Friedhöfen
verschiedener Städte sah. Sie suchte sich nur die Witwer aus, die der
Todesanzeige nach, ohne Kinder waren, das war auch der Grund der vielen Reisen
von Stadt zu Stadt, denn es gab gar nicht so viele Kindelose Paare also eben
auch wenig kinderlose trauernde Witwer. Ihre Strategie hatte sie auch
überdenken müssen, denn Witwer wollen heiraten! Kochen, Waschen, Jasagen
war nicht ihr Ding, aber so tun als ob bis… ja bis der ertragreiche Abgang
gefunden war, das kannte sie ja seit ihrer frühen Kindheit. Oder war ein
noch radikalerer Weg angesagt, heiraten und dann bald selbst verwitwen?
Das waren so ihre Gedanken, als sie diesen gebrechlichen Herrn am frisch
aufgeschütteten Grabe zwei Reihen weiter sah. Es war
ein Familiengrab und sah nicht gerade ärmlich aus, nein eher das Gegenteil. Sie
ging näher und sah, auf den noch frischen Kränzen viele Namen aber keine
Aufschriften wie „Deine Kinder, der lieben Mutter etc.“ Lisbeths Interesse war
geweckt und als der gebrechliche Herr sein Mobil-Phone in seine zittrigen Hände
nahm um ein Taxi zu rufen, war sie zur Stelle, bot ihm an, ihn ,da sie nichts
anders zu tun hatte, hinzufahren wo immer er hin musste. Sie hatte keine Mühe,
ihn zu einem Kaffee zu überreden. Und so nahm die Fatalität ihren Lauf. Sie
stimmte ihm zu, ganz alleine in so einem grossen Haus, einfach schrecklich.
Ich, sagte Lisbeth, habe alles verkauft und wohne nun möbliert. Bald schon
insistierte Hektor, so hiess der gebrechliche Greis, sie solle doch zu ihm
ziehen, das Haus ist ja gross genug und es ist doch schöner ein wenig
Gesellschaft zu haben und nicht alleine essen zu müssen. Dienstboten
hatte er keine, aber eine Zugehfrau die die täglichen Besorgungen, das
Reinemachen und das Kochen besorgte. Dies freute Lisbeth, denn
Haushaltsarbeit war nun mal wirklich nicht ihr Ding. Sie zog ein, erst mal für
kurze Zeit in das Gästezimmer, was heisst da Zimmer es war eigentlich ein
kleines Appartement, doch bald schon zu Hektor dem durch ihre Präsenz neue,
schon längst vergessene, Gefühle und Kräfte erwuchsen. Um Erfolg mit ihrem Plan
zu haben, musste sie zum ersten Mal in ihrem bewegten Leben mit der bisher so
erfolgreichen Tradition brechen; sie nahm den, nach gebührlicher Zeit
ausgesprochenen, Heiratsantrag strahlend an. Wie sie zu den chemischen
Hilfsmitteln kam, die der Arzt Hektor nicht verschreiben wollte da er für
seinen Patienten, dessen Herz sehr geschwächt war, das schlimmste befürchten
musste, ist nicht nachzuvollziehen. Ob sie es auf den Seychellen wo sie
die Hochzeitsreise hinführte oder doch schon vorher in
der Schweiz besorgt hatte sei dahingestellt, sicher ist, dass der Orgasmus den
Hektor erlebte sowohl sein schönster und heftigster, als auch der letzte wurde.
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