Das erste Mal
als sie sich gesehen hatten waren beide erst seit einigen Tagen verwitwet. Es
war ein regnerischer kalter Novembertag und das Leben schien beiden nicht mehr
lebenswert. Die Frau von Ernst war nach stoisch ausgehaltenem Leiden—sie litt an ALS
(amyotrophischer Lateralsklerose)—man muss schon sagen, jämmerlich verendet. Ernst war am
Boden zerstör. Erika hingegen trauerte—ja trauerte sie denn wirklich?—um ihren
stets untreuen und nun so plötzlich verstorbenen Ehemann, der im Bett einer
seiner vielen Freundinnen an plötzlichen Herzversagen gestorben war. Erika
hatte seit langem gedacht dass ihr Mann gar kein Herz habe, wurde aber durch
diesen Tod eines besseren belehrt. Ein
starker Windstoss hatte den kleinen Schirm Erikas zerstört und Ernst bot dieser
trauernden noch jugendlichen Frau ganz
im schwarz an, sie unter seinem solideren Schirm zu ihrem Auto am Parkplatz zu
begleiten. Die beiden trafen sich zufällig mehrmals auf dem Friedhof. Das erste Mal an Heilig Abend, dann am elften
Februar. Mit Erstaunen stellten beide fest, dass ihre verschiedenen Ehepartner
beide am selben Tag geboren waren, allerdings nicht im selben Jahr. Ernst war
knapp über fünfzig Erika einige Jahre jünger. Erikas Mann war mehr als zehn
Jahre älter gewesen, Ernsts Frau fast gleich alt wie er. Und nun an diesem
strahlenden Karfreitag begegneten sie sich erneut bei den
nebeneinander liegenden Gräbern, diesmal war Erika frühlingshaft gekleidet, die
Zeiten Jahrelang Trauer zu tragen waren längst vorbei, Ernst sah auch in Jeans
und Hemd sehr gut aus. Da nahm Ernst seinen ganzen Mut zusammen und lud diese
noch junge Leidensgenossin zu einem Kaffee ein. Erfreut nahm Erika deren Name
er ja noch nicht kannte, und die ausgerechnet wie seine verstorbene geliebte
Gattin hiess, an. Im
nahen Tea-Room fand das erste richtige Kennenlernen statt. Es gibt mehr Zufälle
im Leben als man denkt, Ernst hiess auch der verstorbene Mann von Erika. Lange
wurde diskutiert ob dies nun ein gutes oder im Gegenteil ein schlechtes Omen sei. Beide entschieden sich ob nun gutes oder schlechtes Vorzeichen, vorsichtig
mit dieser—wie sie merkten—spriessenden Liebe umzugehen. Die Zeit verging, sie
wurden ein Paar und hatten nur einen Plan, miteinander glücklich zu werden. Für
kurze Zeit ging der Plan auch auf, bis, ja bis, die Beiden eines Abends nach dem
Konzert auf dem, des schönen Wetters wegen zu Fuss gemachten Heimwegs , zu
einem streitenden Paar kamen; sie wollten den Streit schlichten und wurden von
den beiden brutal zusammengeschlagen. Nun lagen sie zusammen in der Klinik,
Ernst hatte das rechte Auge verloren Erika litt an retrograder Amnesie. Das, bei
Sozialamt und Polizei längst bekannte Schlägerpaar soff sich weiterhin, dank
Sozialhilfe auf Kosten der Allgemeinheit durchs Leben.
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