Gaston war Zahnarzt. Jung war er schon lange nicht mehr, aber
er fand sich noch nicht zu alt um noch seine alternden Patienten zu betreuen,
neue Patienten nahm er schon seit langem nicht mehr an, auch aus dem
Notfalldienst war er schon längst ausgetreten. Als er mitte-fünfzig war, hatte
er eine neue junge Praxishilfe eingestellt, denn seine langjährige Assistentin
war an einer bösartigen Geschwulst erkrankt und dann nach kurzer
schein-Besserung, bald verstorben. Die neue Praxishilfe war die einzige Angestellte
in dieser ein wenig „angestaubten“ Praxis. Sie war inzwischen auch schon über
vierzig und noch, warum weiss keiner, unverheiratet. Es handelte sich um eine
immer freundliche aber absolut unscheinbare Person, ja sie war weder hübsch
noch hässlich, eben unscheinbar bis zur Unsichtbarkeit. Diese
beiden Personen waren täglich von acht bis zwölf und von zwei bis fünf zusammen
in der Praxis, ausser Donnerstags. Gaston
der Chef ass täglich im selben Restaurant und dies seit er vor fast einem
halben Jahrhundert die Praxis von seinem Onkel übernommen hatte. Der Wirt hatte
mehrmals gewechselt, das Restaurant war, zwar mehrmals erneuert, aber immer
noch als gutes Speiselokal bekannt. Silvie ass entweder im nahegelegenen Park
ihr Mitgebrachtes oder bei schlechtem Wetter im Kaffeehaus um die Ecke. Gaston
war nun schon seit langen Jahren allein, Kinder hatte er keine und seine Frau
war ihm vor vielen Jahren davongelaufen—warum blieb ihr Geheimnis—Gaston
hatte eines Abends als er müde von der
Arbeit nach Hause kam einen Zettel im Korridor auf dem Boden gefunden mit
nur drei Worten „ICH VERLASSE DICH“. Seither hatte er nie mehr etwas von ihr oder
über sie gehört.
Aufhören
zu arbeiten würde Gaston nie, sagte er immer zu Silvie, was sollte ich denn den
lieben langen Tag machen? Silvie lebte
sehr bescheiden, Gaston hatte ganz vergessen ihren schon immer tiefen Lohn an
die Teuerung anzugleichen und Silvie hatte nie den Mut gehabt darum zu bitten.
Auch wusste sie, dass sie keine andere Stelle finden würde, denn sie war, hier
in der Praxis, von Gaston und ihrer Vorgängerin nur angelernt worden, eine
richtige Ausbildung mit Diplom fehlte ihr. Alle Beide hatten nur den jeweils
anderen als Gesprächspartner denn auch Silvie war ganz alleine in ihrem kleinen
möblierten Studio. Seit einigen Jahren war die Klientel immer weniger geworden
sodass oft stundenlang auf den nächsten
Patienten gewartet wurde. Diese Wartezeit wurde zu einem bizarren Beisammensein
zwischen Silvie und Gaston, der immer mal wieder zwischen Ruppigkeit und
Paternalismus hin und her wechselte. Gaston duzte Silvie seit dem ersten Tag, Silvie
nannte ihren Chef immer Herr Doktor, das war beiden äusserst wichtig, so blieb
jeder auf dem ihm zustehenden Platz. Sie lasen die Tageszeitung und
kommentierten vor allen die Todesanzeigen, die sie nach verstorbenen Patienten
durchforschten. Fand sich einer ihrer Patienten auf der „KALTEN SEITE“ wurde
seine Karteikarte sofort von Silvie dem Chef gebracht. Gaston las die Karte
aufmerksam durch, gab einige Kommentare dazu ab und sagte, schief grinsend, zu
Silvie noch eine für die „Vermisstenschublade“. Verstarb ein Patient der die
letzte Rechnung nicht beglichen hatte seufzte Gaston und murmelte vor sich hin
da ist ja nun nichts mehr zu holen. So war das Verhältnis zwischen Gaston und
Silvie wirklich „(K)ein Verhältnis“ ,
obwohl die ganze Nachbarschaft vom Gegenteil überzeugt war.
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