Mittwoch, 27. Mai 2015

(K)ein Verhältnis (K)ein Verhältnis

Gaston war Zahnarzt. Jung war er schon lange nicht mehr, aber er fand sich noch nicht zu alt um noch seine alternden Patienten zu betreuen, neue Patienten nahm er schon seit langem nicht mehr an, auch aus dem Notfalldienst war er schon längst  ausgetreten. Als er mitte-fünfzig war, hatte er eine neue junge Praxishilfe eingestellt, denn seine langjährige Assistentin war an einer bösartigen Geschwulst erkrankt und dann nach kurzer schein-Besserung, bald verstorben.                                           Die neue Praxishilfe war die einzige Angestellte in dieser ein wenig „angestaubten“ Praxis. Sie war inzwischen auch schon über vierzig und noch, warum weiss keiner, unverheiratet. Es handelte sich um eine immer freundliche aber absolut unscheinbare Person, ja sie war weder hübsch noch hässlich, eben unscheinbar bis zur Unsichtbarkeit.                                                                                           Diese beiden Personen waren täglich von acht bis zwölf und von zwei bis fünf zusammen in der Praxis, ausser Donnerstags.  Gaston der Chef ass täglich im selben Restaurant und dies seit er vor fast einem halben Jahrhundert die Praxis von seinem Onkel übernommen hatte. Der Wirt hatte mehrmals gewechselt, das Restaurant war, zwar mehrmals erneuert, aber immer noch als gutes Speiselokal bekannt. Silvie ass entweder im nahegelegenen Park ihr Mitgebrachtes oder bei schlechtem Wetter im Kaffeehaus um die Ecke. Gaston war nun schon seit langen Jahren allein, Kinder hatte er keine und seine Frau war ihm vor vielen Jahren davongelaufen—warum blieb ihr Geheimnis—Gaston hatte  eines Abends als er müde von der Arbeit nach Hause kam  einen  Zettel im Korridor auf dem Boden gefunden mit nur drei Worten „ICH VERLASSE DICH“.                                                               Seither hatte er nie mehr etwas von ihr oder über sie gehört. 
Aufhören zu arbeiten würde Gaston nie, sagte er immer zu Silvie, was sollte ich denn den lieben langen Tag machen?   Silvie lebte sehr bescheiden, Gaston hatte ganz vergessen ihren schon immer tiefen Lohn an die Teuerung anzugleichen und Silvie hatte nie den Mut gehabt darum zu bitten. Auch wusste sie, dass sie keine andere Stelle finden würde, denn sie war, hier in der Praxis, von Gaston und ihrer Vorgängerin nur angelernt worden, eine richtige Ausbildung mit Diplom fehlte ihr. Alle Beide hatten nur den jeweils anderen als Gesprächspartner denn auch Silvie war ganz alleine in ihrem kleinen möblierten Studio. Seit einigen Jahren war die Klientel immer weniger geworden sodass oft  stundenlang auf den nächsten Patienten gewartet wurde. Diese Wartezeit wurde zu einem bizarren Beisammensein zwischen Silvie und Gaston, der immer mal wieder zwischen Ruppigkeit und Paternalismus hin und her wechselte. Gaston duzte Silvie seit dem ersten Tag, Silvie nannte ihren Chef immer Herr Doktor, das war beiden äusserst wichtig, so blieb jeder auf dem ihm zustehenden Platz. Sie lasen die Tageszeitung und kommentierten vor allen die Todesanzeigen, die sie nach verstorbenen Patienten durchforschten. Fand sich einer ihrer Patienten auf der „KALTEN SEITE“ wurde seine Karteikarte sofort von Silvie dem Chef gebracht. Gaston las die Karte aufmerksam durch, gab einige Kommentare dazu ab und sagte, schief grinsend, zu Silvie noch eine für die „Vermisstenschublade“. Verstarb ein Patient der die letzte Rechnung nicht beglichen hatte seufzte Gaston und murmelte vor sich hin da ist ja nun nichts mehr zu holen.                                                     So war das Verhältnis zwischen Gaston und Silvie  wirklich „(K)ein Verhältnis“ , obwohl die ganze Nachbarschaft vom Gegenteil überzeugt war.

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