Eigentlich hätte er ein glückliches Rentnerleben verdient und
auch haben können, wenn, ja wenn dies Schuldgefühl nicht seine Ruhe gestört
hätte. Vor vielen Jahren, er war schon recht lange verheiratet gewesen, war seine Frau
plötzlich krank geworden. Sie gingen zusammen zum Hausarzt. Eine
Verdachtsdiagnose, die ihr, seiner Frau, natürlich versteckt wurde war schnell
gestellt. Dazu muss erwähnt werden, dass er den Arzt seit Jahren sehr gut
kannte, war er doch Pharmavertreter. Er hatte zwar nach seiner Ausbildung zum Pfleger einige Jahre im Universitäts-
Spital gearbeitet, weil er aber weder Homosexuell war noch Beziehungen spielen lassen konnte, war ein Aufstieg
auf der Karriereleiter , trotz gutem Arbeitseinsatz kaum möglich gewesen; und
so ging er frustriert wie so viele die nicht ins „Spitalschema“ passten ,in die
Pharmaindustrie wo er schon zu Beginn mehr als das Doppelte verdiente. Somit stand der seit
langem geplanten Ehe nichts mehr im Wege. Nun nach mehr als zehn gemeinsamen
Ehejahren, die leider ohne Kinder geblieben waren, plötzlich dieser Schock . Der Verdacht war eine beginnende Multiple Sklerose. Damals, es war in
der Zeit vor Computertomografie oder gar Kernspin-Untersuchung, war die
Zuordnung der beunruhigenden Symptome eine reine Ausschlussdiagnose. Nach einem
heissen Bad hatte Corinne plötzlich Sehstörungen bemerkt und ein verdächtiges
Kribbeln in Armen und Beinen verspürt. Nach wenig Tagen klangen die eher
schwachen Empfindungsstörungen rasch ab, auch die neurologischen Untersuchungen
mit Lumbalpunktion waren unauffällig. Das Damoklesschwert blieb aber –glücklicherweise
unsichtbar—über ihrer Ehe schwebend, bestehen. Corinne, wie viele Patienten,
profitierte beinahe schamlos von der Krankheit, die sie selbst nie einer
genauen Diagnose zuordnete. Wenn ihr irgendetwas nicht passte, sei es eine
soziale Verpflichtung oder eine zu leistende Arbeit, ging es wegen komischen
neurologischen –nicht objektivierbaren—Beschwerden nicht. Jahrelang war Oliver
der willige Diener seiner eigentlich gesunden aber die Krankheit auskostenden
Frau. Irgendwann hatte er die Nase voll. Dann schmiedete er einen diabolischen
Plan. Oliver kannte seine Frau Corinne sehr gut, deshalb wusste er auch –was
sie ihm immer versteckt hatte—dass sie eine grosse Angst vor dem Älterwerden
hatte und immer wieder eine Betätigung, wie jung und gut aussehend sie noch
sei, brauchte. Oliver hatte einen sehr guten Freund, einen Arzt der auch sein
Kunde war und der seit einiger Zeit von seiner Frau verlassen, sich depressiv zu Hause eingemauert hielt. Auch Corinne
kannte natürlich diesen Arzt, er hiess Stanislas und war oft mit seiner Frau
zusammen bei ihnen zu Besuch gewesen.
Ihm vertraute Oliver sich an, schilderte ihm wie er an Corrines
„Krankspielen“ litt und bemitleidete zugleich Stanislas der nicht über den
Verrat seiner Frau—oder doch eher den
Verlust des gewohnten Umfelds—hinweg kam. Bei der dritten Flasche Château
Margaux dem Lieblingswein Ernest Hemingways –den Oliver als Mensch und als
Literat verehrte—schmiedeten sie einen Plan, sich an den Frauen zu rächen. In
ihrem Alkoholwahn schien ihnen alles absolut logisch und richtig. Dass es nach
Ausnüchterung immer noch bei diesem Plan blieb ist erstaunlich und zeugt vom
grossen Frust der beiden Freunde und Leidensgenossen. Der erste Teil des Plans
war sehr einfach. Oliver musste wie jedes Jahr, an einen Rheumatologen-Kongress
im benachbarten Frankreich und zwar in Aix-les-Bains. Zu dieser Zeit war es
noch schwierig aus Frankreich in die Schweiz zu telefonieren. Und nun zum
Plan. Stanislas sollte spontan zu Oliver und Corinne zu Besuch kommen um sich
über die Untreue seiner Frau zu beklagen und wenn möglich trösten zu lassen.
Weil Oliver am Kongress in Aix-les-Bains war, was Stanislas nicht zu wissen
vorgab, wollte er sofort wieder gehen aber Corrine hielt ihn zurück indem sie,
sanft flirtend sagte „ ach ich bin ja schon seit zwei Tagen ganz allein zu
Hause“. Stanislas liess sich nicht lange bitten, er blieb –wie geplant—. Nun
beklagte er sich weinend über die Untreue seiner Frau. Dann überschüttete er
Corrine mit Komplimenten über ihr viel frischeres und jüngeres Aussehen als
jenes seiner untreuen Ehefrau. Corrine schmolz nur so dahin, was ihr Stanislas
sagte ging ihr wie Balsam herunter direkt in die Seele und auch in den
Unterleib. Stanislas beklagte Corrine auch wegen ihrer Kinderlosigkeit und
suggerierte ihr, sie sei ja noch nicht zu alt um doch noch ein Kind zu
bekommen. Und so überraschte der –aus
Sorge—noch spät nachts zurückgekehrte Oliver die Beiden, seine untreu gewordene
Frau und den“ vermeintlich verräterischen“ Freund, wie geplant, in voller
Aktion. Es kam natürlich in der Folge zu einer –für Oliver sehr
günstigen—Scheidung, denn die ganze Schuld war auf Corinnes Seite, dies fand
auch der Scheidungsrichter. All dies ging ihm fast täglich durch den Kopf obwohl es nun schon so
weit zurück lag und er fragte sich immerzu, ob Corinne ihn irgendeinmal auch
ohne die organisierte Verführung, betrogen hätte. Und diese Ungewissheit verdarb ihm sein Altersdasein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen