Montag, 6. April 2015

Betty oder die Lebenslüge

Nun war Betty Urgrossmutter. Sie erzählte ihre Lebenslüge ihren Urenkelinnen und Urenkel. Sie erzählte, dass sie immer die liebe Betty gewesen war, die Wahrheit war aber eine ganz andere. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, Betty war ein recht hübsches junges Ding als sich zwei Brüder unsterblich in sie verliebten. Einer, der jüngere, Alex, machte das Rennen und führte Betty zum Traualtar. Aus Wut und Gram wanderte der ältere Bruder aus, er eröffnete mit Krediten der Uhrenindustrie in Kairo einen Uhrenladen mit Schweizer Uhren. Seine Geschäfte gingen, je nach politischer Lage, mal besser mal schlechter. Dass er auf die schiefe Bahn gelangte lag sowohl an seinem Charakter als auch an einer bisher versteckt gebliebenen Veranlagung. Es gab in Kairo, wie in jeder Grossstadt eine florierende Unterwelt, Drogen, Prostitution, Waffen und Menschenhandel einfach alles was einige der Bosse zu viel Geld kommen liess. Er, Gustave, wollte in diesem Milieu mithalten und wurde sehr schnell, wohl durch eine angeborene Rücksichtslosigkeit und Gefühlskälte, die ihn vor keiner Missetat zurückschrecken liess—auch Mord gehörte dazu—zu einem Gangsterboss. Nebenbei führte er ein immer glamouröseres Gesellschaftsleben, gehörte zu den Ausländern die das Sagen, in dieser kosmopolitischen Stadt, hatten. Selbst die Polizei wusste nie etwas Konkretes über ihn, er war und blieb ein ehrenwerter Mann. Maitressen hatte er mehrere, ja er benahm sich wie ein Pascha, geheiratet hat er aber nicht. Trotzdem hatte er ein sehr gepflegtes Haus, eher einen kleinen Palast, wo er gerne Feste feierte und auch Gäste, vor allem Künstler, beherbergte. Der, nun vergrösserte, luxuriöse Uhr-Laden war die ideale Tarnung für seine, unkonventionellen, kriminellen, Geschäfte. Nach einigen Jahren der „Funkstille“ nahm er wieder Kontakt zu seinem Bruder und seiner Schwägerin auf. Er reiste in die Heimat. Schon sofort nach der Ankunft wusste er, dass Betty seine grosse Liebe gewesen  wäre, er hatte es einfach nicht wahrhaben wollen damals als er auswanderte; sein Bruder, der zwar gesellschaftlich immer im Rampenlicht stand und von den Frauen angehimmelt wurde, erweckte in ihm—den schon immer geahnten Hass—. Obwohl Alex, sein kleiner Bruder eigentlich ein Verlierer  war, und immer sehr knapp über die Runden kam. Betty musste, trotz eines kleinen Söhnchens, hart arbeiten .Sie arbeitete als Sekretärin bei einem Anwalt, die damals üblichen zehn bis elf Stunden während ihr Mann Alex ziellos herumlungerte. Gustave schmiedete einen Plan wie er dies alles in Bahnen lenken könnte, die ihn auf der ganzen Linie als Sieger erscheinen lassen würde. Er lud die drei, Bruder Schwägerin und den kleinen Paul-Emile nach Kairo ein. Gustave konnte die tiefe Aversion seinem kleinen Bruder gegenüber gut verstecken. Schon am zweiten Abend wollte Alex das Nachtleben von Kairo erkunden, Gustave gab vor  geschäftliche Verpflichtungen zu haben und so ging Alex—wohlversehen mit den notwendigen Ratschlägen—auf Entdeckungstour, natürlich ohne Betty. Gustave kam früh nach Hause, Alex war noch nicht zurück und so kam es mit Betty zu einer Aussprache. Sie beklagte sich über Alex und machte ihrem Schwager unverhohlene Avancen. Jeden Abend war es das Gleiche, Alex verabschiedete sich und Betty und Gustave trösteten sich gegenseitig, sie wurden ein passioniertes Liebespaar, glaubte Betty –Gustave liess sie in diesem Gauben—. Eigentlich störte Alex gar nicht, er war ja fast nie da; ja Gustave merkte seine Gegenwart nur, weil ihn Alex immer wieder um ein kleines Darlehen bat. Gustave hatte seine Kontakte in der Unterwelt von denen weder Nelly noch Alex etwas wusste und ein Leben ist nur so viel wert wie ein „Gentleman“ bereit ist zu bezahlen. Alex verschwand. Nach Wochen wurde eine männliche Leiche gefunden, es war Alex. Die politische Lage in den Dreissigerjahren wurde immer schwieriger, deshalb verkaufte Gustave, der ja finanziell ein gemachter Mann war, alles was er in Kairo besass und übersiedelte mit Betty und Paule-Emile, als reicher Mann, in die Schweiz . Geheiratet hatten sich schon kurz nachdem der Leichnam von Alex gefunden worden war. Diese Heirat war der Auftakt zu Gustavs Rache, er hatte es nie verwunden, dass Betty ihm den jüngeren, verhassten, Bruder vorgezogen hatte. Diesen Bruder der immer als der Liebling der Eltern gegolten hatte und dem die Frauen nur so zugeflogen waren. Denn  er war es gewesen, der Betty zuerst kennengelernt und zu seiner Freundin gemacht hatte. Dann hatte er sie als seine Zukünftige nach Hause mitgebracht.  Betty liess sich  aber von Alex, dem Charmeur, bezirzen! und betrog Gustave schamlos mit seinem kleinen Bruder. Das war der Grund seines Hasses auf die beiden und der wurde nun auch auf das Kind Paule-Emile übertragen.                                              Arbeiten musste Gustave nicht und als dann der Krieg ausbrach war er zu alt um einberufen zu werden. Damit konnte er all seine Energie aufwenden Nelly und dem heranwachsenden Paule-Emile das Leben zur Hölle zu machen. Mutter und Sohn litten sehr. Gustave besann sich auf seine Jugendleidenschaft, den Alpinismus und ging immer häufiger allein in die Berge .Eines Tages kam er nicht zurück, Betty und Paule-Emile mussten noch Monate warten, bis sie endlich befreit aufatmen konnten, Bergwanderer hatten das was von Gustave übrig geblieben war in einer Felsenkluft entdeckt.                                                                                                                                                       Betty lernte einen mehrere Jahre älteren verwitweten Mann kennen, er hiess Daniel. Er war Direktor einer grossen Handelsfirma. Er kümmerte sich sehr liebevoll um Paule-Emile und wollte Betty unbedingt heiraten, Betty zierte sich, wohl weil sie eine gewisse Freiheit brauchte um ihre verschiedenen Liebschaften aufrecht zu erhalten; die ach so brave Betty. Viele Jahre später, als  ihre Liebhaber, von denen David nie etwas gewusst hatte, nur noch fernste Erinnerung waren, willigte sie in den stets wiederholten Hochzeitsantrag doch noch ein.

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