Nun war Betty
Urgrossmutter. Sie erzählte ihre Lebenslüge ihren Urenkelinnen und Urenkel. Sie
erzählte, dass sie immer die liebe Betty gewesen war, die Wahrheit war aber
eine ganz andere. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, Betty war ein
recht hübsches junges Ding als sich zwei Brüder unsterblich in sie verliebten. Einer,
der jüngere, Alex, machte das Rennen und führte Betty zum Traualtar. Aus Wut
und Gram wanderte der ältere Bruder aus, er eröffnete mit Krediten der Uhrenindustrie
in Kairo einen Uhrenladen mit Schweizer Uhren. Seine Geschäfte gingen, je nach
politischer Lage, mal besser mal schlechter. Dass er auf die schiefe Bahn
gelangte lag sowohl an seinem Charakter als auch an einer bisher versteckt
gebliebenen Veranlagung. Es gab in Kairo, wie in jeder Grossstadt eine
florierende Unterwelt, Drogen, Prostitution, Waffen und Menschenhandel einfach
alles was einige der Bosse zu viel Geld kommen liess. Er, Gustave, wollte in
diesem Milieu mithalten und wurde sehr schnell, wohl durch eine angeborene
Rücksichtslosigkeit und Gefühlskälte, die ihn vor keiner Missetat
zurückschrecken liess—auch Mord gehörte dazu—zu einem Gangsterboss. Nebenbei
führte er ein immer glamouröseres Gesellschaftsleben, gehörte zu den Ausländern
die das Sagen, in dieser kosmopolitischen Stadt, hatten. Selbst die Polizei
wusste nie etwas Konkretes über ihn, er war und blieb ein ehrenwerter Mann.
Maitressen hatte er mehrere, ja er benahm sich wie ein Pascha, geheiratet hat
er aber nicht. Trotzdem hatte er ein sehr gepflegtes Haus, eher einen kleinen
Palast, wo er gerne Feste feierte und auch Gäste, vor allem Künstler,
beherbergte. Der, nun vergrösserte, luxuriöse Uhr-Laden war die ideale Tarnung
für seine, unkonventionellen, kriminellen, Geschäfte. Nach einigen Jahren der
„Funkstille“ nahm er wieder Kontakt zu seinem Bruder und seiner Schwägerin auf.
Er reiste in die Heimat. Schon sofort nach der Ankunft wusste er, dass Betty
seine grosse Liebe gewesen wäre, er
hatte es einfach nicht wahrhaben wollen damals als er auswanderte; sein Bruder,
der zwar gesellschaftlich immer im Rampenlicht stand und von den Frauen
angehimmelt wurde, erweckte in ihm—den schon immer geahnten Hass—. Obwohl Alex,
sein kleiner Bruder eigentlich ein Verlierer
war, und immer sehr knapp über die Runden kam. Betty musste, trotz eines
kleinen Söhnchens, hart arbeiten .Sie arbeitete als Sekretärin bei einem
Anwalt, die damals üblichen zehn bis elf Stunden während ihr Mann Alex ziellos
herumlungerte. Gustave schmiedete einen Plan wie er dies alles in Bahnen lenken
könnte, die ihn auf der ganzen Linie als Sieger erscheinen lassen würde. Er lud
die drei, Bruder Schwägerin und den kleinen Paul-Emile nach Kairo ein. Gustave
konnte die tiefe Aversion seinem kleinen Bruder gegenüber gut verstecken. Schon
am zweiten Abend wollte Alex das Nachtleben von Kairo erkunden, Gustave gab
vor geschäftliche Verpflichtungen zu
haben und so ging Alex—wohlversehen mit den notwendigen Ratschlägen—auf Entdeckungstour,
natürlich ohne Betty. Gustave kam früh nach Hause, Alex war noch nicht zurück
und so kam es mit Betty zu einer Aussprache. Sie beklagte sich über Alex und
machte ihrem Schwager unverhohlene Avancen. Jeden Abend war es das Gleiche, Alex
verabschiedete sich und Betty und Gustave trösteten sich gegenseitig, sie
wurden ein passioniertes Liebespaar, glaubte Betty –Gustave liess sie in diesem
Gauben—. Eigentlich störte Alex gar nicht, er war ja fast nie da; ja Gustave
merkte seine Gegenwart nur, weil ihn Alex immer wieder um ein kleines Darlehen
bat. Gustave hatte seine Kontakte in der Unterwelt von denen weder Nelly noch
Alex etwas wusste und ein Leben ist nur so viel wert wie ein „Gentleman“ bereit
ist zu bezahlen. Alex verschwand. Nach Wochen wurde eine männliche Leiche gefunden,
es war Alex. Die politische Lage in den Dreissigerjahren wurde immer
schwieriger, deshalb verkaufte Gustave, der ja finanziell ein gemachter Mann
war, alles was er in Kairo besass und übersiedelte mit Betty und Paule-Emile, als
reicher Mann, in die Schweiz . Geheiratet hatten sich schon kurz nachdem der
Leichnam von Alex gefunden worden war. Diese Heirat war der Auftakt zu Gustavs
Rache, er hatte es nie verwunden, dass Betty ihm den jüngeren, verhassten, Bruder vorgezogen hatte. Diesen Bruder der immer als der Liebling der Eltern
gegolten hatte und dem die Frauen nur so zugeflogen waren. Denn er war es gewesen, der Betty zuerst
kennengelernt und zu seiner Freundin gemacht hatte. Dann hatte er sie als seine
Zukünftige nach Hause mitgebracht. Betty
liess sich aber von Alex, dem Charmeur,
bezirzen! und betrog Gustave schamlos mit seinem kleinen Bruder. Das war der
Grund seines Hasses auf die beiden und der wurde nun auch auf das Kind
Paule-Emile übertragen. Arbeiten
musste Gustave nicht und als dann der Krieg ausbrach war er zu alt um
einberufen zu werden. Damit konnte er all seine Energie aufwenden Nelly und dem
heranwachsenden Paule-Emile das Leben zur Hölle zu machen. Mutter und Sohn
litten sehr. Gustave besann sich auf seine Jugendleidenschaft, den Alpinismus
und ging immer häufiger allein in die Berge .Eines Tages kam er nicht zurück,
Betty und Paule-Emile mussten noch Monate warten, bis sie endlich befreit
aufatmen konnten, Bergwanderer hatten das was von Gustave übrig geblieben war
in einer Felsenkluft entdeckt.
Betty lernte einen mehrere Jahre älteren
verwitweten Mann kennen, er hiess Daniel. Er war Direktor einer grossen
Handelsfirma. Er kümmerte sich sehr liebevoll um Paule-Emile und wollte Betty
unbedingt heiraten, Betty zierte sich, wohl weil sie eine gewisse Freiheit
brauchte um ihre verschiedenen Liebschaften aufrecht zu erhalten; die ach so
brave Betty. Viele Jahre später, als
ihre Liebhaber, von denen David nie etwas gewusst hatte, nur noch
fernste Erinnerung waren, willigte sie in den stets wiederholten
Hochzeitsantrag doch noch ein.
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