Samstag, 4. April 2015

Ernüchternder Besuch

Die Tochter war schon vor vielen Jahren verschwunden. Jahrelang waren sie, Vater Johann und Mutter Nora, streng katholische rechtschaffene Eltern, ohne Nachricht geblieben. Der Abgang war ja auch sehr unschön gewesen. Ja die Eltern warfen der Tochter Miriam vor, sich rumzutreiben und keiner regelmässigen Arbeit nachzugehen. Als sie dann, in den frühen Siebzigerjahren, zu diesem älteren  Mann gezogen ist, der seine Frau und die Kinder verlassen hatte und der noch nicht geschieden war, hatte Johann sie vor die Tür gesetzt, das heisst, er hat all ihr Hab und Gut vor die Tür gesetzt und dazu geschrieben „weil du dich wie ein Flittchen benimmst und in Sünde lebst, hast du bei uns nichts mehr verloren“. Und so hatten Johann und Nora ihre einzige Tochter verloren.                            Viele Jahre später hatte ein Werbe Fritz einer Fluggesellschaft die gloriose Idee, getrennte Freunde und Familien, sehr werbewirksam, wieder zusammen zu bringen. Bedingung war, dass der Vermisste ausgewandert  und der Kontakt abgebrochen war. Johann und Nora, durchs Alter ein wenig sentimental geworden dachten immer öfter an Miriam, ihre einzige Erbin. Gerüchten nach, die sie vor langen Jahren von ehemaligen Mitschülerinnen vernommen hatten war Miriam nach Amerika ausgewandert. Sie meldeten sich bei der, in der Fernsehwerbung angegebenen Mailadresse. Sie waren einverstanden, bei erfolgreichem  Finden  ihrer Tochter Miriam, überraschenderweise—ohne Vorankündigung— hinzufliegen und so tränenreich wie irgend möglich gefilmt zu werden, alles zur „GLORIE“ der besagten Fluggesellschaft. Als dann die Aufforderung ihre Koffer zu packen kam wurde es ihnen doch irgendwie mulmig; aber Vertrag ist Vertrag also musste es sein.                        Sie kamen früh morgens in Los Angeles an hatten kurz Zeit sich im Hotel auszuruhen, alles immer, schon seit zuhause, von der Filmcrew begleitet. Dann fuhren sie mit einer Limousine in die Slums von L.A. Und hier kamen sie in ein Asyl für arme verstossene Kinder, es war schrecklich so viel Elend zu sehen. In der freundlichen Ordensschwester erkannten sie nach einigem Zögern ihre Tochter Miriam, die jetzt Schwester Benedikta hiess. Benedikta sagte ihnen sehr distanziert, dank euch weiss ich nur zu gut dass verstossene Kinder Hilfe brauchen, ich werde für euch beten, kehrte sich um und verliess den Empfangsraum.

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