Dienstag, 14. April 2015

Ungeplantes romantisches Nachtessen

Als Ärztebesucher in den späten Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts war es üblich und von dem Chef auch gefordert, gute Kunden mit grossem Verschreibungs-potential ganz besonders zu pflegen. Dies beinhaltete manchmal auch Einladungen zu einem guten Nachtessen, damals meist mit Ehepartnerinnen. Ich hatte einen sehr guten Kunden, er war, schon in der dritten Generation, Landarzt in einem Dorf des deutschsprachigen Teils Kantons Freiburg. Seine Frau kam aus einer sehr bekannten reichen Verlegerfamilie in Zürich, wo er sie am Uni-Ball kennengelernt hatte. Es war, trotz kultureller Diskrepanz, liebe auf den ersten Blick. Ich freute mich jedes Mal, wenn ich dieses liebeswürdige Paar besuchen kam. Sie empfingen mich immer zum Kaffee, denn sie wollten mir das oft chaotische Familienessen mit den acht Kindern—von denen drei adoptierte Kriegswaisen aus Vietnam waren—nicht zumuten. Wir hatten schon einige Male zu viert, mit den Gattinnen zusammen,  zu Abend gegessen. Es war  mal wieder an der Zeit solch ein Essen zu planen. Der Kunde schlug ein ganz neu eröffnetes Restaurant vor.                                                                                Nun sass ich mit meiner Frau in diesem schön eingerichteten Restaurant und studierte die Speisekarte die sehr verlockendes anbot. Es war ja die Zeit der „NOUVELLE CUISINE“. Die Zeit verging, aber die Beiden kamen nicht. Eine Stunde Verspätung, so etwas hatte es noch nie gegeben, zwanzig Minuten auch eine halbe Stunde aber so lange? da stimmte doch etwas nicht. Ich rief an, das Hausmädchen sagte, “die sind schon seit langem abgefahren“. Mobiltelefone waren damals noch nicht einmal denkbar. Wir, meine Frau und ich entschieden uns mit dem essen zu beginnen, zu gross war die Verlockung der vorbeiziehenden Speisen der anderen Gäste und wir taten gut daran, denn meine Gäste erschienen nicht.                                                                                                                      Am nächsten Morgen zu früher Stunde rief die Frau des Arztes an, bat uns in aller Form um Entschuldigung und versprach sich in einigen Tagen bei uns zu melden. Einige Tage später kündigte sie ihren Besuch an, sie war alleine und erklärte uns, dass ihr Mann an diesem Abend wieder einmal sehr betrunken nach Hause gekommen war und dass sie auf der Fahrt zu unserer Verabredung ihm kurzentschlossen die Liebe aufgekündigt habe. Nun sei es genug, sie lasse sich scheiden, ja schon der Vater und der Grossvater waren Säufer gewesen und sie hatte ihn schon oft gewarnt, dass sie so etwas nicht mitmachen würde. Es war sehr traurig für alle, aber dadurch hatten wir, meine Frau und ich ein unerwartetes romantisches Nachtessen zu zweit geniessen müssen/dürfen/können?!

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