Als
Ärztebesucher in den späten Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts war es
üblich und von dem Chef auch gefordert, gute Kunden mit grossem
Verschreibungs-potential ganz besonders zu pflegen. Dies beinhaltete manchmal
auch Einladungen zu einem guten Nachtessen, damals meist mit Ehepartnerinnen.
Ich hatte einen sehr guten Kunden, er war, schon in der dritten Generation,
Landarzt in einem Dorf des deutschsprachigen Teils Kantons Freiburg. Seine Frau
kam aus einer sehr bekannten reichen Verlegerfamilie in Zürich, wo er sie am
Uni-Ball kennengelernt hatte. Es war, trotz kultureller Diskrepanz, liebe auf
den ersten Blick. Ich freute mich jedes Mal, wenn ich dieses liebeswürdige Paar
besuchen kam. Sie empfingen mich immer zum Kaffee, denn sie wollten mir das oft
chaotische Familienessen mit den acht Kindern—von denen drei adoptierte
Kriegswaisen aus Vietnam waren—nicht zumuten. Wir hatten schon einige Male zu
viert, mit den Gattinnen zusammen, zu
Abend gegessen. Es war mal wieder an der
Zeit solch ein Essen zu planen. Der Kunde schlug ein ganz neu eröffnetes
Restaurant vor. Nun sass ich mit meiner Frau in diesem schön eingerichteten Restaurant
und studierte die Speisekarte die sehr verlockendes anbot. Es war ja die Zeit
der „NOUVELLE CUISINE“. Die Zeit verging, aber die Beiden kamen nicht. Eine
Stunde Verspätung, so etwas hatte es noch nie gegeben, zwanzig Minuten auch
eine halbe Stunde aber so lange? da stimmte doch etwas nicht. Ich rief an, das
Hausmädchen sagte, “die sind schon seit langem abgefahren“. Mobiltelefone waren
damals noch nicht einmal denkbar. Wir, meine Frau und ich entschieden uns mit
dem essen zu beginnen, zu gross war die Verlockung der vorbeiziehenden Speisen
der anderen Gäste und wir taten gut daran, denn meine Gäste erschienen nicht. Am nächsten Morgen zu früher Stunde rief die Frau des Arztes an, bat uns in
aller Form um Entschuldigung und versprach sich in einigen Tagen bei uns zu
melden. Einige Tage später kündigte sie ihren Besuch an, sie war alleine und erklärte
uns, dass ihr Mann an diesem Abend wieder einmal sehr betrunken nach Hause
gekommen war und dass sie auf der Fahrt zu unserer Verabredung ihm kurzentschlossen
die Liebe aufgekündigt habe. Nun sei es genug, sie lasse sich scheiden, ja
schon der Vater und der Grossvater waren Säufer gewesen und sie hatte ihn schon
oft gewarnt, dass sie so etwas nicht mitmachen würde. Es war sehr traurig für
alle, aber dadurch hatten wir, meine Frau und ich ein unerwartetes romantisches
Nachtessen zu zweit geniessen müssen/dürfen/können?!
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