Er war Jude, Antiquar und Schwul, als schwul sein noch ein
grosses Tabu war. Kennengelernt habe ich Daniel in den Sechzigerjahren. Er
hatte einen recht grossen Antiquitätenladen in einer Kleinstadt in der
Französischen Schweiz. Damals begann ich mit Antiquitäten zu handeln um meine Sammlerleidenschaft auch
finanziell zu nutzen, denn dies erlaubte
es mir die Qualität meiner Sammlung zu verbessern ohne Geld zu verlieren. Zum
Beispiel habe ich in den ersten Ehejahren fünfmal den Esstisch gewechselt und
bei jedem Verkauf so viel verdient, dass am Ende der Tisch den ich noch heute
besitze, nichts gekostet hat. Aber nun zurück zu Daniel, er war damals noch
jung und eben aus Marokko –wo er eine unglückliche Liebe beendet hatte—in seine
Heimatstadt zurückgekehrt. Im Gepäck hatte er sehr viel schöne alte Töpfereien
und sonstiges Kunsthandwerk aus ganz Nordafrika. Vom früh verstorbenen Vater
war eine alte Scheune voll „ Ramsch“ da. Allerdings wurde das, was damals als
„Ramsch“ bezeichnet wurde schon bald begehrtes Sammelgut. Sein Geschäft war,
obwohl in einem modernen Gebäude gelegen, sehr geschmackvoll eingerichtet, was
zwar ungewöhnlich in dieser Gegend, aber nicht für einen Homosexuellen Antiquar
war, ja so ein Antiquitätengeschäft erwartete man in einem Pariser
Nobelquartier und nicht in einem zwölftausend-Seelen Kaff. Da das Preisgefälle
zwischen der ländlichen Westschweiz und Zürich sehr gross war, fand ich bei
Daniel immer viele gut wiederverkaufbare Stücke. Daniel war, schon in jungen
Jahren, recht schrullig. Seine Mutter—sie war damals schon eine ältere
Dame—trug als streng gläubige Jüdin immer eine Perücke. Sie war eine echte
jüdische Mamme! wie sie in jedem Witzbuch über jüdische Mütter steht. Bis elf
und dann bis fünf war sie im Laden, dann ging sie kochen, denn Daniel ass immer
zuhause. Seine Mutter wollte nicht, dass er trefe — also unkoscher— esse, ihm selbst wäre das
eigentlich egal gewesen—nur Schweinefleisch liess auch er beiseite— so sagte
er; ein Brötchen mit gutem Parmaschinken sah ich ihn hin und wieder ganz im
versteckten in einer Messe-Kantine genüsslich kauen. Seine Mamma war also fast
immer im Laden, und nachdem Daniel, einer neuen Liebe wegen wieder nach
Nordafrika ging, kümmerte sie sich ums Geschäft bis Daniel fand es sei besser
den Laden zu schliessen und seine grosse Liebe auszuleben. Jahre später, als
auch diese Liebe zerbrochen war, kam Daniel zurück und machte einen neuen
Laden, diesmal aber in der Altstadt, auf. Mamme war wieder da, gealtert aber
fast unverändert, doch sie war noch etwas dünner, fast schon durchsichtig,
geworden. Nun wurden allmählich die Rollen umverteilt. Daniel verliess den Laden,
über dem er und seine Mutter eine grosse Wohnung teilten, so gegen elf um zu
kochen. Die Mutter sass fast unbeweglich und etwas verloren auf ihrem
angestammten, viel zu grossen, Voltaire-Sessel. Kamen Kunden um etwas zu
fragen, anzubieten oder einfach zu kaufen klingelte sie und wartete bis Daniel
mit umgebundener Küchenschürze die Treppe herunter kam. Daniel war auch schon
etwas steifer geworden denn er war sicher schon über sechzig, sein Alter war
eins seiner schrulligen Geheimnisse. Daniel war nicht der Meinung, Kunden
hätten immer Recht! nein ganz im Gegenteil, wenn ein Kunde seiner Meinung nach
ein Objekt falsch bezeichnete oder zeitlich einordnete protestierte er laut.
Auch erinnere ich mich ende der
siebziger Jahre, als Mobiltelefone noch ganz neu und dementsprechend selten
waren, untersagte er –manchmal auch auf grobe Art—deren Benutzung in seinem
Geschäft mit den Worten „raus, hier telefoniere nur ich“ !! Auf
Antiquitätenmessen sah man an seinem, immer gleich geschmackvoll eingerichteten
Stand, seine Mutter ,immer kleiner werdend, in ihrem Voltaire-Sessel wie sie
vor sich hin döste und nur dann hellwach wurde, wenn einer der ihr bekannten
Kunden ihr seine Aufwartung machte.
Und eines Tages, Daniel war etwas früher als üblich zum
Kochen gegangen, hatte sich die Mutter doch mal wieder einen Käseauflauf
gewünscht, rief er sie ,über das archaische Klingelsystem, zu Tisch. Ja die so
gebrechlich wirkende Mutter war mit ihren, wer weiss wie vielen Jahren, noch
besser zu Fuss als ihr Sohn Daniel. Keine Antwort, kein Zeichen! Daniel stieg,
seiner Arthrose wegen mühsam, so schnell er konnte die Treppe hinab. Mutter
sass wie gewöhnlich dösend im Sessel. Als er sie berührte glitt sie ganz
langsam zur Seite. Sie war kalt, sehr kalt also musste sie schon seit den
frühen Morgenstunden gestorben sein. Abends ass Daniel den leicht angebrannten
Käseauflauf.
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