War es in den späten Siebzigern oder doch erst in den
frühen Achtzigern, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Auf jeden Fall war
es an einem Donnerstag gegen Mittag, denn dieser Arzt empfing
Aussendienst-Mitarbeiter, seit er vor einigen Jahren diese Praxis übernommen
hatte, immer donnerstags. Ich kannte ihn seit langem, war er doch vor über zehn
Jahren in ein Spital im Jura als Assistenzarzt gekommen. Ja er war, wie so
viele seiner Kollegen, aus dem von Franco diktatorisch geknechtetem Spanien, nach
seinem Studium zur Weiterbildung in die Schweiz gekommen. In den Spitälern war
damals der Ärztemangel sehr gross, die Schweizer Assistenten blieben in den
grossen Kliniken und die kleineren Spitäler rekrutierten ihre Assistenzärzte wo
immer sie konnten. Die Iberische-Halbinsel war ein fast unerschöpfliches
Reservoir für lernbegierige junge Mediziner. Im Laufe der Jahre habe ich
dutzende von spanischen und portugiesischen Ärzten kennengelernt, nur wenige
wollten nach der Ausbildung in ihr Heimatland zurück; viele von ihnen bekamen,
nachdem sie ein abgekürztes Schweizer
Staatsexamen bestanden hatten, eine Praxisbewilligung, allerdings meist nur als
„Allgemeinpraktiker“ die Fachärzte schützten ihre Pfründe sehr effizient. Und so kam dieser Arzt –nennen wir ihn Pablo—in
diese verwaiste Praxis irgendwo auf dem Land in der Westschweiz. Ich hatte mich
immer sehr gut mit diesem, ein wenig wortkargen schüchternen, spanischen Arzt
verstanden. Auch waren unsere Gespräche, trotz seiner Schüchternheit oft von touristischen,
Spanien betreffenden, Tipps geprägt. An diesem Donnerstag nahm er sich sogar
die Zeit, mir bei einem Reiseplan in seine Heimatprovinz zu helfen, ja er gab
mir einige gute Adressen von Hotels und
Restaurants bekannt. Auch bat er mich, da und dort Grüsse zu bestellen und ihn
nach meiner Rückkehr doch bald zu besuchen um mit ihm meine Reiseeindrücke zu
diskutieren. Dann bat er mich noch um Medikamente-Muster, die ich ihm zu senden
versprach. Als ich nach drei Wochen aus dem Urlaub zurück kam und mich bei meiner
Chefin telefonisch zurückmeldete, fragte sie mich, mit einem sarkastischen
Unterton in der Stimme, ob ich oft „TOTE“ Kunden besuche? Ich verstand nicht
worauf sie anspielte, bis sie mir sagte, dass Doktor Pablo verstorben sei und
die angebliche gewünschten Muster von der Post als „nicht zustellbar,
verstorben“ retourniert worden waren. Ich bin in circa drei bis vier Stunden
bei ihnen im Büro, sagte ich bevor ich das Gespräch abrupt beendete. Ich fuhr
nach Basel zur Chefin. Glücklicherweise hatte mir Pablo einen ganzen Ordner von
Dokumenten geliehen, die, in Zusammenhang mit meinen Reisenotizen belegten,
dass ich wirklich an jenem, nun schon vier Wochen zurückliegenden Donnerstag
bei Pablo in der Praxis gewesen sein musste. Dort in Basel im Büro erfuhr ich
auch, dass Doktor Pablo sich, kurz nach meinem Besuch, im Keller seines
Hauses—in dem auch die Praxis war—ohne Abschiedsbrief, erhängt hatte. Hätte ich
nichts belegen können, wäre der Zweifel –im Kopf meiner Chefin—an meiner Arbeit
wohl immer dagewesen. Daraus habe ich auch hautnah erfahren wie unergründlich
die Seele der Menschen sein kann!
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