Freitag, 16. September 2016

Tod in Venedig

Er war alt und etwas lebensmüde, unser Held Achim. Er hatte in seiner Deutschen Heimat ein Leben, so als ein Zwischending aus Geschäftsmann und Privatgelehrtem, geführt. In seinen jungen Jahren hatte er lange an verschiedenen Universitäten studiert, alte Sprachen, Philosophie, Mathematik, Kunstgeschichte, Geschichte aber auch Betriebswirtschaft, bis sein sich immer mehr ärgernder Herr Papa ihm sozusagen das Messer auf die Brust setzte und ihm drohte, sollte er nicht innert Jahresfrist einen Abschluss mit Diplom machen, ihn auf die Strasse zu setzen. Dies aber wollte Achim nicht, denn Schmarotzen war diesem ewigen Studius quasi zur zweiten Natur geworden. Mit Ach und Krach ergatterte er ein Diplom als Betriebswirt und trat—zwar nicht in die Fussstapfen des Herrn Papas—aber immerhin in die Firma ein.
Die Firma lief so gut, dass man sie schon fast als einen Selbstläufer bezeichnen konnte. Die Angestellten die schon seit vielen Jahren da waren kümmerten sich um alles. Als der Herr Papa, nach seinem Schlaganfall nur noch undeutlich lallend und immobil im Bett lag ernannte Achim den Prokuristen zum Geschäftsführer und zog sich mit seinen Steckenpferden zurück. Lange Jahre dauerte die Krankheit des Vaters, er lag da und schien nicht viel von der Umwelt mitzukriegen. Achims Mutter war ja bei seiner Geburt verstorben;
und so lebte Achim sorgenlos, ohne Rücksicht nehmen zu müssen, schon beinahe autistisch  seinen Steckenpferden nachgehend, in dem immer mehr zerfallenden Haus.
Viele Jahre später, Achim war inzwischen ein alter Mann und die Firma—um die er sich nie gekümmert hatte—war durch schlechte, unkontrollierte Manager so heruntergewirtschaftet worden, dass eine Pleite kaum noch zu vermeiden war.
Als Achim bei einem Arztbesuch eine fatale Diagnose bekam, eine Krebsart die dem Betroffenen nicht viel Zeit lässt, entschloss er sich in seinem heissgeliebten Venedig zu streben. Ja sein grösster Wunsch war es, dass er—obwohl bekennender Atheist—auf dem Friedhof auf San Michele beerdigt und mit grossem Pomp zu Grabe getragen  werde. Noch bevor es mit der ererbten Firma zu Ende ging, verkaufte er sein inzwischen sehr marodes Elternhaus mit allem seit Generationen gesammelten Ramsch und zog mit dem Erlös nach Venedig ins Hotel Gritti. Seine Rechnung ging leider nicht auf, denn die Prognose der Ärzte —sechs bis acht Monate—war zu pessimistisch gewesen und das übriggebliebene Geld nun doch viel zu knapp fürs Gritti. Er lebte dann noch einige Monate auf dem Festland in Mestre, in einer sehr sehr einfachen Pension, von wo aus er wenigstens die Lagune erahnen und von San Michele träumen konnte.


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