Freitag, 9. September 2016

Verdrehte oder verkehrte Welt

Gustav war immer schon  ihr Lieblings-Onkel, ja gar ihr Lieblingserwachsener gewesen. Gustav war aber eigentlich das schwarze Schaf der Familie, er war der fast zwanzig Jahre ältere Bruder Theresas Mutter. Zwar war er in seinem Beruf als Antiquar recht erfolgreich aber sein Benehmen entsprach weder seiner Erziehung noch dem Verhalten seines Schwagers. Verheiratet war er nicht, er wars auch nie gewesen, nein er sagte zu Resi—wie man Theresa als Kind nannte—auf die Frage ob er eine Frau habe , nein ich kaufe doch auch keine Kuh wenn ich nur einen kleinen Schluck Milch für meinen Morgenkaffee brauche. Und schon runzelten Schwester und Schwager sowie die grossen Geschwister Theresas die Stirn und räusperten sich unmissverständlich.
Theresa blieb für Gustav immer Resi, er war der einzige der dies durfte, allen anderen untersagte Theresa den Gebrauch dieses lächerlichen Kinder-Kosenamens. Theresa wuchs zu einer androgynen Schönheit heran. Trotz ihres Aussehens war sie immer wieder mit Männern zu sehen. Sie war sehr beliebt unter den Studenten der Kunstakademie. Ja sie studierte Kunstgeschichte und ihre Lieblingsepoche war das  ausgehende neunzehnte Jahrhundert und die Moderne. Mit den weiblichen Kommilitonen hatte sie eher etwas Mühe—sie fand die meisten zickig und fad—. Trotzdem dichteten ihr viele—wohl wegen ihrer Androgynität—eine gewisse Tendenz an.
Der inzwischen etwas gealterte Gustav war an diesem Weihnachtsfest wie beinahe  jedes Jahr, für mehrere Tage zu Besuch gekommen.
Dass das Alter ihn nicht besänftigt hatte wussten alle schon, aber an diesem Heiligabend ging er noch ein kleines Bisschen weiter. Ja er erzählte, wie er kürzlich  in Paris eines Abends nach reichhaltigem Essen mit Geschäftspartnern noch einige Schritte aus dem Hotel gegangen war um sich die Beine zu vertreten und das viele Essen und Trinken sich setzen zu lassen. Wie meist war er in einem einfachen Hotel dem „Le Jardin de Neuilly“ abgestiegen. In diesem guten 3-Stern-Haus das er aus verschiedenen Gründen ausgewählt hatte, fühlte er sich wohl und FREI, denn er konnte kommen und gehen mit wem er wollte denn der Portier war vor Diskretion sozusagen blind. Dass das Hotel nahe am berühmten Bois de Boulogne lag war ein weiterer Vorteil, fand man dort doch die hübschesten elegantesten Mädchen, nicht solche vulgäre Billignutten wie an der Rue St. Denis, sagte er lachend. Ja und dann erzählte er, immer noch lachend, was ihm dort passiert war. Bei seinem Verdauungsspaziergang traf er, sicher weil er nicht mehr ganz nüchtern und auch ortsunkundig war, eine bezaubernde Schönheit  von leicht südländischem Typ. Gustav sagte, dass man sich ohne zu feilschen über das „kleine Geschenk“ welches am Ende erwartet wurde sofort einig geworden war. Im Zimmer angekommen öffnete Gustav erst die Minibar, dann eine Flasche Bollinger Brut. Dann, ja dann öffnete die Schöne ganz ganz langsam ihren, dem vorweihnachtlichen Klima entsprechenden, Pelzmantel. Der enthüllte Busen war umwerfend, aber richtig umgeworfen hat ihn—so stammelte der vor Lachen kaum noch zu verstehende Gustav— der erigierte grosse Penis dieses Travestiten.
Das einzige was das eisige Schweigen brach war das ungehemmte Lachen in das Theresa ausbrach. Nur Theresa verstand die Situationskomik und verteidigte den Onkel ihrer ganzen Familie gegenüber.
Das spätere Nachspiel das diese Geschichte hatte inszenierte Theresa einige Zeit später selbst mehrere Male. Theresa wusste, dass sie problemlos als Mann durchgehen konnte, ungeschminkt in Anzug und Krawatte fiel sie mit ihren kleinen Spiegeleier-gleichen Brüstchen und ihren kurzgeschnittenen Haaren nicht auf und ihre regelmässigen Gesichtszüge entsprachen ja dem was sich die Franzosen unter Jeanne d’Arc so vorstellten. Theo, wie sie sich nun manchmal nannte ging in einschlägige Lokale und auch ins  Boi de Boulogne—an den Ort wo die „Travelos“ ihr Revier hatten— und machte Männer an. Vielen gefiel dieser leicht androgyne junge Mann, und Theo wurde häufig in irgendein Hotel oder eine Wohnung „für einen letzten Drink“ eingeladen. Immer freute sich Theresa und dachte mit Zärtlichkeit an ihren nun verstorbenen Onkel Gustav, wenn sie das—je nach Freier, dumme wütende gierige hilflose—Gesicht sah als sie vom so begehrten Theo zu Theresa wechselte.


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