Dienstag, 4. Oktober 2016

Alte

Sie waren ein auffälliges Paar obwohl man sie nicht oft sah, aber wenn sie ausgingen dann immer zusammen. Ob sie mal zur Post oder Bank mussten, irgendeinen Laden besuchten, nie hat man den einen ohne die andere gesehen. Trotz dem sie schon etwas unsicher auf ihren alten Beinen waren, gingen sie immer sehr höflich—nein geradezu liebevoll miteinander um. Kennen tat sie niemand richtig, aber alle waren sehr neugierig. Als  ihre langjährige Zugehefrau, die ja noch älter als die beiden gewesen war, plötzlich  starb, haben sie sich etwas Zeit gelassen um eine neue Haushaltshilfe zu suchen und schliesslich auch zu finden; es war eine nicht mehr ganz junge robuste Witwe die sich nun um alles kümmern musste. Diese Frau war sehr wortkarg geradezu verschlossen, nichts drang nach draussen obschon viele Fragen gestellt wurden. Frau Weiss hätte eigentlich den Spitznamen Weissnicht verdient, denn sie tat so als wisse sie nichts über ihre Dienstherrschaft.
Der Hausherr war was man früher einen Privatgelehrten nannte und seine Frau, die schon in der Grundschule sein Schatz  gewesen war, stammte aus einer Lehrerfamilie. Sie Erna hatte ein seltsames Steckenpferd, welchem sie,  dank des grossen Hauses das die Beiden Paul-Emil und Erna nun schon über sechzig Jahre bewohnten, frönen konnte.
Ja Erna hat alle, wirklich alle, ihre Kleider seit ihrer Geburt aufbewahrt. Schon ihre Mutter hatte diesen Fimmel nichts wegzugeben geschweige denn wegzuwerfen. Paul-Emil sammelte alles was auf Papier geschrieben, gezeichnet skizziert, gedruckt und gemalt war. Bücher aus allen Epochen, versteckten die Wände, ja sie waren eigentlich in allen Räumen die richtigen Wände. Erna kleidete sich regelmässig in alte aus der Mode gekommene Kleider um dann zusammen mit Paul-Emile das von Frau Weiss vorbereitete Abendessen  zu zelebrieren. Ja sie begingen jede alltägliche Handlung äusserst feierlich. Auch Paul-Emile setzte sich nie an den  Tisch ohne sich vorher zurechtgemacht zu haben. Immer Anzug und Krawatte, an echten Feiertagen sogar einen Smoking.
Frau Weiss hatte um einige Freitage gebeten um ihre Enkel zu besuchen, sie hatte dafür gesorgt, dass genügend Vorräte da waren für die paar Tage bis sie wieder ihren Dienst aufnehmen würde.
Einen Abschiedsbrief fand Frau Weiss nicht, als sie die Beiden, von Fliegen umflogenen mit ihrer Hochzeitskleidung  angetan in ihren Esstischstühlen Hand in Hand und zueinander gebeugt vorfand.


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