Polycarp war
die letzten achtundvierzig Jahre im Spital gewesen, nicht etwa als Patient oder
gar Arzt, nein er hatte als einfacher Lehrling in der Spitalverwaltung begonnen
und sich dann allmählich hochgearbeitet und war Chef der Buchhaltung geworden. Als
er anfang sechzig war, wurde ihm „sein“ Spital praktisch unter dem Bürostuhl
hinweg, fortrationalisiert. Er hatte aber Glück im Unglück, denn der
Chefbuchhalter im nicht wegrationalisierten Gross—Spital in der Hauptstadt der
Region war vor nicht allzu langer Zeit schwer erkrankt und konnte seine Arbeit
nicht mehr aufnehmen. So wurde Polycarp der neue Chefbuchhalter in diesem
wesentlich grösseren Spital. Damit hatte er allerdings von heute auf morgen
seine Kompetenzgrenze überschritten.
Noch war er der einzige der es ins Geheim wusste, es sich aber natürlich
nicht eigestehen konnte. Aus der perfekt geführten Zentralbuchhaltung wurde in
nur wenig Monaten ein undurchschaubares Chaos, weil aber der Spitaldirektor—wie
meist üblich—mehr aus politischen als aus Kompetenz—Gründen auf seinem
luxuriösen Leder-Sessel klebte, merkte er lange nicht ,dass in der
Zentralbuchhaltung eine Zeitbombe tickte. Erst als Reklamationen und Mahnungen
nicht mehr ans Spital sondern an die Regionalverwaltung, nicht etwa nur
geschickt, sondern per Bote gebracht wurden und auf dem Schreibtisch des Präsidenten
landeten wurde es eng für Polycarp aber auch für den naiven Direktor. Muss das
alles so kurz vor der Pensionierung passieren fragte sich der verzweifelte
Polycarp und bereute zum ersten Mal in seinem Leben, dass er nicht—wie man ihm
oft vorgeschlagen hatte—in die politische Mehrheitspartei eingetreten war! Also
war es ihm klar, dass er keine Unterstützung erwarten konnte. Eines Nachts—als schon die Untersuchung gegen ihn
lief—schlich er sich, da er ja an der Quelle war, nachts in die Spitalapotheke
und versah sich mit Medikamenten um sich gegebenen Falles selbst zu
eliminieren. Es kam zu einer Vorladung. In dieser Nacht stopfte sich der
Junggeselle Polycarp alle „besorgten Pillen“ rein und spülte sie mit Schnaps
runter. Hätte Polycarp etwas von Medizin verstanden, läge er jetzt nicht in
„seinem Spital“ durch den Pillen-Cocktail vergiftet, des Denkens und Sprechens unfähig in einem
dieser Sandwich-Betten für hoffnungslose
Fälle.
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