Samstag, 25. April 2015

Paulette

Paulette war als ich sie, als eine Mieterin meiner Schwiegereltern, kennenlernte schätzungsweise anfang fünfzig. Sie ging an Krücken. Bei einem Autounfall vor vielen Jahren hatte sie sich einen äusserst komplizierten Beckenbruch zugezogen,  war damals aber bei weitem die glücklichste der fünf Autoinsassen gewesen, wenn man es als Glück ansehen kann mit dem Leben davon gekommen zu sein. Sie waren an einem Silvesterabend, mit ihrem Mann, ihrer besten Freundin mit Mann sowie ihrem gemeinsamen Liebhaber, bei Freunden zur feucht-fröhlichen Silvesterfeier gewesen. Als sie alle fünf so gegen vier Uhr früh loszogen ,mussten sie erst das total zugeschneite Auto freischaufeln, dann fuhren sie auf verschneiten Strassen, im Neuenburger Jura von la Brévine nach La Chaux-de-Fonds, sie kamen aber nur bis zu einem Baum an Strassenrand, den wir ,beim vorbeifahren,immer den „Baum der Paulette“ nannten. Als Paulette wieder zu sich kam war es still und sehr kalt, sie war eingeklemmt und das Auto, das von der Strasse abgekommen war, war noch nicht entdeckt worden. Stunden später sie war inzwischen mehrmals ohnmächtig geworden, wachte sie in einem Spitalbett auf. Komischerweise konnte sie sich an alles genau erinnern, den Streit zwischen den beiden Ehemännern und dem gemeinsamen Liebhaber der beiden Freundinnen, der wohl  im Zusammenspiel mit Alkohol, Eis und Schnee auch mitschuldig am Unfall war. Nur sie hatte knapp überlebt, das lang ersehnte Kind, mit dem sie endlich schwanger ging, war mit der zerstörten Gebärmutter zusammen  weg. Es war in den späten vierziger oder frühen Fünfzigerjahren passiert, die Chirurgie war noch nicht so entwickelt wie heute, besonders die orthopädische Chirurgie steckte noch in den Kinderschuhen.                                                                                                                                                Dass Paulette überhaupt, wenn auch schwerfällig mit Krücken, wieder laufen konnte grenzt an ein Wunder. Sie hatte ein fröhliches Naturell, versuchte aus allem immer das Beste zu machen und nahm das Leben auch so als ein Geschenk an. Mit dem restlichen ererbten Geld kaufte sie sich in der Nähe der Schulen nicht weit vom Zentrum einen kleinen Tabak und Zeitungsladen. Sie verkaufte, etwas Schreibwaren Rauch und Süsswaren; einfach  alles was Schüler brauchen konnten. Sie war immer schon sehr Lebens und Liebeslustig gewesen und trotz ihrer Behinderung machte sie allen Männern, ob Jung oder Alt, schöne Augen .Ja die Gymnasiasten durften bei ihr auch im Versteck hinter einem Vorhang sogenannte Herren-Magazine ansehen. Nicht wenige wurden von ihr in die Erwachsenenwelt eingeführt und viele der Herren blieben auch mal kurz nach Ladenschluss im immer gut geheizten Hinterzimmer bei Kaffee und…gingen dann erleichtert nach Hause. So kam Paulette zu dem was ihr lieb war, die Schüler und gewisse Herren erkälteten sich nicht im rauen Juraklima und die unschuldigen Schülerinnen konnten meist als Jungfrau  auf einen ,dank Paulette, geschickten, erfahrenen  Ehemann hoffen.

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