Ja genauso
mache ich es, das steht fest, sagte sich Walid. Walid war mit knapp vier Jahren
aus dem, im Bürgerkrieg verwüsteten, Beirut in die Schweiz gekommen. Er war
eins von sieben Kindern, das jüngste und daher auch das verhätscheltste. Die
fünf grossen Schwestern, die älteste war schon achtzehn, verwöhnten ihn und
liessen ihm alles durchgehen. Walid war sehr intelligent aber auch sehr faul.
Was ihm Spass machte lernte er in Windeseile, alles andere war ihm sch….egal. Dass
er schon als Teenie auf die schiefe—sehr schiefe—Bahn geriet kann man bei
dieser mangelhaften Erziehung verstehen. Die Mutter lebte in ihrer depressiv
gefärbten Gegenwart und träumte nur von der Vergangenheit, sie überliess den Haushalt
und die Obhut der Kleinen ihren grossen Töchtern. Der Vater war, wie viele Phönizier—die
Libanesen sind ja die Nachkommen dieser Handelsnation— geschäftlich immerzu auf
Reisen. Es gab da noch einen grossen Bruder, der war vor Jahren abgehauen, wo
er war wusste keiner und ausser der Mutter schienen alle ihn vergessen zu
haben. Schon mit elf Jahren lernte Walid
Drogen kennen, er hing ungehindert mit grösseren Jungs rum. Polizei,
Jugendrichter temporäre Verwahrung, all dies war sein Alltag. Nach einem
Bandenraubzug mit Autoklau und Einbruch wurde er mal wieder geschnappt, als
einziger geschnappt. Er hielt dicht und wanderte das erste Mal in seinem schon
ereignisreichen Leben in den Erwachsenen-Knast. Da, im Knast, fing er an zu
lesen. Was Walid am meisten faszinierte war die Geschichte von Kaspar Hauser. Nicht
die Wahrheit über diesen Findling, dessen Geschichte die meisten Leser in Bann zieht, nein die
Perspektiven die so ein Verhalten eröffneten interessierte ihn brennend. Und so
kam es, dass Walid, kaum dem Knast entronnen, ins Ausland reiste. In einer Belgischen
Kleinstadt, wo spielt für die Geschichte keine Rolle, tauchte eines schönen Tages
ein in Lumpen gehüllter lang haariger bärtiger Mann auf der nicht sprechen
konnte aber mit unmissverständlichen Gesten zeigte, dass er Hunger habe. Wie einst in Nürnberg kümmerte sich die Bourgeoisie um dies Naturkind, ein
interessierter Seelenarzt nahm ihn bei sich auf. Dass Walid eines Nachts mit
dem „Tafelsilber“—das heisst allem was wertvoll war— auf Nimmerwiedersehen
verschwand und sich in einem anderen Land nach günstigen Kleinstädten umsah
erstaunt wohl kaum jemand.
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