Mittwoch, 29. März 2017

Gedächtnis oder Sicht

Es war wohl in den frühen siebziger-Jahren, ich war schon seit mehreren Jahren als Ärztebesucher
—neuerdings Pharmareferent—unterwegs.
Diese Arbeit gefiel mir sehr, denn damals war es ein Leichtes an die Kunden heranzukommen. Kaum einer verlangte, dass man einen Termin ausmache, nein man wartete im Korridor bis der Arzt den Patienten verabschiedete und wurde meist sofort oder als Übernächster empfangen. Man war in der Regel willkommen, war es doch die Gelegenheit für den Arzt mal eine zu qualmen! Ja damals rauchten die meisten Ärzte noch…..
Einer meiner Kunden, ein französisch sprechender Allgemeinchirurg, der wie damals alle Ärzte in Biel auch gut Berndeutsch sprach und den ich nun schon seit mehreren Jahren immer gern besuchte, war plötzlich nicht mehr an seiner bisherigen Adresse, der Bahnhofstrasse wohnhaft, nur ein Informations-Blatt gab seine neue Adresse bekannt. Ich fuhr zu besagter Adresse. Es war eine hübsche Villa an der Peripherie der Stadt. Das alte Praxisschild von der Bahnhofstrasse war an einer Seitentür angebracht, darauf stand wie eh und je „sonnez et entrez“   „Bitte klingeln und eintreten“ sowie die korrigierten Sprechstundenzeiten. Ich folgte der Aufforderung und kam direkt in ein Wartezimmer. Ich war der einzige Wartende, kurz darauf komplimentierte der Arzt eine übermässig voluminöse Dame zum Ausgang und begrüsste mich sehr freundlich mit den Worten „sie haben  meine neue Adresse gefunden also gehören sie nicht zu den Vertretern die „alte“ Ärzte aus ihrer Kartei ausscheiden. Ja dieser Arzt war Ende sechzig und viele Firmen gaben die Anweisung so alte nicht mehr  zu besuchen, denn es sei Zeitverschwendung. Das Sprechzimmer war dasselbe wie früher an der Bahnhofstrasse, selbes Mobiliar gleiche Bilder an den Wänden, selber alte Perserteppich am Boden. Der Arzt erklärte mir, dass seine Frau durch ihre Multiple Sklerose nun pflegebedürftig sei und er deshalb die Praxis in die Villa verlegt habe, ausserdem habe er beschlossen nicht mehr zu operieren um nicht allzu oft abwesend zu sein. Nun erlaubte ich mir eine Frage die mir schon seit Jahren auf der Zunge lag, aber mir fehlte bisher der Mut sie zu stellen. Ich sagte, ihre Praxis war immer äusserst schön eingerichtet und gepflegt nur die verstaubten alten Medikamente-Packungen auf diesem schönen Biedermeierschrank hinten an der Wand haben mich immer gewundert.
Verschmitzt lächelnd erklärte mir der sichtlich amüsierte Arzt: Ich habe ein katastrophal schlechtes Gedächtnis für Namen aber noch immer eine gute Sicht, wenn ich nach dem Namen eines Medikaments suche blicke ich zu dem Schrank und schon weiss ich den Namen den ich auf das Rezept schreiben muss; der Patient denkt dann immer, dass sich dieser gute alte Arzt zuerst genau überlegt habe was für ihn am besten wäre.

                                        

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