Donnerstag, 30. März 2017

Savoir-Vivre oder der alte Cognac

Er war Internist. Nennen wir ihn Dr. Herz. Also Dr. Herz war etwa Mitte fünfzig, er war einer der besten Internisten dieser zweisprachigen Stadt. Wie wir darauf gekommen waren uns, nachdem ich ihm meine „Beratung“ für die Medikamente die ich präsentieren musste vorgestellt hatte, über Essen und vor allem Trinken zu unterhalten begannen weiss ich nicht mehr. Jahrelang tauschten wir Adressen von guten Speiselokalen in der Gegend aber auch in Städten wie Paris,  Barcelona, Venedig, Wien, Lugano und noch viele andere aus. Auch Wein und Schnapslieferanten, sowie gute Feinkostgeschäfte wurden diskutiert.
Wie es dazugekommen war, ihm von meinem Hausarzt zu erzählen weiss ich wirklich nicht mehr.
Hier nun die Geschichte einer quasi-Adoption in gewissem Sinne.
Als sehr junger Ärztebesucher kam ich eines Vormittags zu einem Arzt in der Umgebung von Neuchâtel. Es war wohl der dritte Besuch dieses sehr sympathischen Mittvierzigers. Ich war sehr stark erkältet, sodass der Arzt mich zwangsmässig untersuchte und nach meinen Rauchgewohnheiten fragte—dies mit einer Zigarette im Mund—.Ich antwortete ehrlich so etwa achtzig bis hundert Camels pro Tag zu konsumieren. Er sah sich daraufhin meine Lunge im alten Durchleuchtungs-Gerät an. Schlimmes hat er nicht entdeckt, ich war ja auch erst mitte zwanzig! Während ich mich wieder anzog verschwand der Arzt in dem Wohnteil des Hauses und kam nach einigen Minute zurück. Er trug vier Flaschen mit sich, je zwei pro Hand so zwischen die Finger geklemmt. Links sah ich Rotwein rechts irgendeine goldgelbe Flüssigkeit. Dies ist ihre Therapie, ich schreibe sie eine Woche lang krank. Die Dosierung des Bordeaux, Cognacs und Armagnacs überlasse ich ihrer Vernunft. Dann gab er mir das, auf ein Rezeptzettel hingeworfene Zeugnis und entliess mich nach Hause. Seither war er mein Hausarzt! und nie in den über zwanzig Jahren in denen er mich und auch meine damalige Frau behandelte habe ich eine Rechnung erhalten, nein auf meine Frage hin wurde er echt wütend und sagte: das wäre wie wenn ich die Behandlung meiner Familie der Krankenkasse verrechnen würde, ich würde mich in Grund und Boden schämen.
Zurück zu meiner Krankheit und der verschriebenen Therapie. Die zwei Flaschen Rotwein waren sehr gut. Was die anderen Flaschen betraf war ich doch irgendwie schockiert, der Cognac war eine „Grand Champagne“ von sage und schreibe 1888 und der Armagnac war auf das Jahr 1898 datiert.
Ich trank den Wein in drei bis vier Tagen aus, die Edelbrände überlebten viele Monate.
Bei meinem nächsten Besuch bei meinem nun nicht nur Kunden sondern Leibarzt erfuhr ich welche Bewandtnis die Schnäpse hatten. Er erzählte mir, dass er als junger Assistenzarzt ein Angebot eines Patienten im Universitätsspital Lausanne einfach nicht ausschlagen konnte. Je ein Fässchen von etwa hundert Litern Cognac und Armanac’s zum Selbstkostenpreis zu kaufen, als Dank für die gute Betreuung. Diese Zusage war der Grund meines ersten seriösen Ehekrachs, sagte er mir lachend. In Laufe der Jahre habe ich immer mal wieder beim Vernichten des Schnapsvorrats helfen dürfen.
Zurück zu Doktor Herz. Er war sehr  erstaunt aber auch gerührt von der Geschichte, was noch deutlicher hervorstach war seine grosse Neugier der Schnäpse wegen. Ich versprach ihm das nächste Mal die beiden Flaschen mitsamt den Neigen mitzubringen. Gesagt getan ich kam mit zwei Flaschen welche noch etwa je einen Viertel ihres Inhalts enthielten zu ihm. Der Inhalt wurde berochen und auch probiert—in homöopathischen Dosen probiert—versteht sich. Wie gross war mein Erstaunen, als Doktor Herz sichtlich tief berührt zu seinem Schrank ging und mir einen Dreierkarton mit je einer Flasche aus seinem Keller schenkte.
 Es war wie die Dreifaltigkeit: Petrus, Margaux und Laffite Rothschild ! alle  Jahrgang 1961 !!!!!!
Ja damals hatten noch viele Ärzte ein grosses „ Savoir-vivre“


                                        

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