Mittwoch, 15. März 2017

Verwerflich ?? oder Löblich ??

In den Fünfzigerjahren habe ich in West-Berlin einen Tierarzt kennengelernt. Es war ein Studienfreund meines Cousins. Der hatte erst vor kurzem  eine Kleintierpraxis eröffnet. Trotz seines jungen Alters und seiner jugendlichen Erscheinung war er bald der Lieblingsarzt vieler Tierbesitzer.
Der Hauptgrund war sicherlich, dass er alle Tier-Omis und Opis ernst nahm und ganz geduldig ihren Erzählungen zuhörte. Damals war Berlin etwas ganz besonderes, die Menschen fühlten sich eingeschlossen. Klar konnte man in die Bundesrepublik reisen, aber ohne Umstände ging das nicht. Überaltert war die Bevölkerung weil viele junge Menschen lieber in die Bundesrepublik oder ins Ausland gingen, die Studierenden die wegen materieller Vorteile gerne in Berlin studierten, verliessen die Stadt nach Studienabschluss meist wieder Richtung „Grosse weite Welt“ wie es ja die Werbung der meistgerauchten Zigarette in Berlin –Peter Stuyvesant—suggerierte.
Nun zurück in die angesagteste Kleintierpraxis. Doktor med. Vet. Daniel—so wollen wir ihn nennen—stand gross an der Praxis.
Schon bald merkte dieser einfühlsame Tierarzt, dass die meisten der alten Menschen eine pathologische Bindung zu ihren Haustieren aufgebaut hatten, nichts war schlimmer als seinen Kanarienvogel, Wellensittich oder Goldfisch zu verlieren.
Daniel wohnte zwar in der unmittelbaren Nähe seiner Praxis, die er schon bald in eine Kleintierklinik verwandelte, verbrachte seine Freizeit aber sehr gerne in seinem Elternhaus am Wannsee. Dort hatte er als Kind schon im Keller eine grosse Anzahl von Aquarien in denen er alle Arten von Zierfischen züchtete. Und im grossen Garten standen zur Strasse hin und zum Vergnügen der vielen kleinen  Kinder, die mit Opa und Oma spazierten, mehrere grosse Volieren mit allerlei Gefieder. Vom Ara über verschiedenfarbige Wellensittiche Kanarien und sonstigen Vögeln bis zu quasselnden Beos war fast alles was Flügel hatte vertreten—ausser Engel—selbstverständlich.
Eines Sonntag Morgens, Daniel hatte am Sonnabend bis spät gearbeitet, kam ihm eine geniale Idee. Statt viel Energie und Zeit in tröstende Gespräche zu investieren um die Tierbesitzer über einen schmerzlichen Verlust hinweg zu trösten, wäre es doch besser den geliebten Goldfisch oder Kanarienvogel zu  h e i l e n ! 
Ab nun sagte er den Herrchen und Frauchen von Fischen und Vögeln, dass ihre kranken  Lieblinge einige Zeit zur Beobachtung oder Therapie in der Klinik bleiben mussten. Auch informierte er—vor allem bei Vögeln—über eine mögliche Charakter oder Wesens-Änderung durch die Behandlung.
Abends fuhr er mit dem kranken—meist schon toten—Fisch oder Vogel ins Elternhaus und suchte nach möglichst ähnlichem Ersatz.
Die strahlenden Gesichter von Frauchen und Herrchen entschädigten ihn für die Mühe und der zu zahlende Preis war weit weit höher als das was man in einer Tierhandlung für ein Ersatztier hinblättern hätte müssen.

Alle waren glücklich, der Betrüger und die Betrogenen.

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