Wie, fragte sie sich schon seit langem, ja wie konnte sie
ihre Erfahrung zu Geld machen, denn Geld
brauchte sie dringend, waren doch ihre gebrechlichen Eltern zu versorgen. Als
junge Krankenschwester hatte sie in einem Heim für Geisteskranke gearbeitet. Es
war die Zeit des Nationalsozialismus. Politisch war sie absolut uninteressiert.
Sie machte die ihr aufgetragenen Arbeit sehr gewissenhaft, gehorchte der
Oberschwester und stelle nichts in Frage. Eines Tages wurde sie ins Büro der
Oberschwester gerufen. Wir sind sehr zufrieden mit deiner Arbeit—junge
Schwestern wurden von der Oberschwester geduzt—und können dir eine bessere
Arbeit anbieten. Hier
Obersturmbannführer Schulze wird dir alles erklären. Es folgte ein Monolog über
Rassenreinheit, nicht lebenswertes Leben, göttliche Fügung und viel mehr wirres
zusammengewürfeltes Halbwissen. Die Oberschwester nickte meist bejahend zu
diesen Ausführungen. Helga, so hiss unsere Jung Schwester, wurde es ganz wirr
im Kopf, sie fragte sich was die von ihr wollten. Gut sagte die Oberschwester,
ab Montag arbeitest du in einer Klinik
in der Nähe von Weimar, wo du im Personalhaus untergebracht wirst; übrigens
gratuliere ich dir zu diesem raschen Karrieresprung, du wirst viel mehr Geld
kriegen. Sie begann ihren Dienst am besagten Montag. Zuerst war Schulung
angesagt, mit drei anderen jungen Schwestern musste sie täglich acht Stunden
lang verschiedenen Ärzten, Pflegern, Schwestern und vor allem
Parteifunktionären zuhören. Es ging wieder um Rasse, lebenswertes Leben,
Reinheit und so weiter, alles ein wenig verwirrend. Ja vieles leuchtete ein
anderes war schockierend. Dann wurde sie auf Station eingeteilt, wo sie zuerst
einmal nur zuschauen musste, wie die Ärzte die Patienten testeten und auswählten,
die einen konnten bleiben die anderen kamen in eine andere Klinik. Die welche
blieben wurden nach kurzer Zeit schon durch Injektionen dem Gnadentod
zugeführt, erlöst wie der Sprachgebrauch hier war. Sie wurde immer wieder von
der Oberschwester und den Ärzten gelobt wie human sie ihre Pflicht erledigte. Besonders
ein Arzt war ganz begeistert von ihr, lud sie dann auch einmal zu Kaffee und
Kuchen ein. Sie war doch sehr beeindruckt von seinen guten Manieren und vor
allem von seinem schönen Auto, wer hatte denn damals schon ein Auto? Wohl nur
ein wichtiger Arzt! Trotz dem ihr ihre Schwesterntracht vorzüglich zu Gesichte stand,
liebte sie die Kleider die Josef ihr aus
Berlin bestellte, aber im Besonderen die seidenen Dessous und Strümpfe. Vor
ihren neuen Mitschwestern musste sie dies allerdings geheim halten, dies war
einfach, wohnte sie doch schon bald bei ihrem Josef in einer sehr schönen
Dienstwohnung. Josef hatte zwar in Berlin Frau und drei gesunde reizende Kinder
die er allerdings nur selten besuchte. Hatte sie Gefühle für Josef oder war es
nur sehr angenehm die auserwählte zu sein? ja solche Fragen stellte sie sich
nie, dass sie mit ihren blonden Locken und ihren strahlend blauen Augen die
einzig mögliche Wahl für Josef gewesen war hatte sie, bei aller Bescheidenheit,
doch sofort gemerkt. An den Wochenenden
fuhren sie oft an die See oder in die Berge, manchmal auch nach Berchtesgaden
wenn Josef dorthin beordert wurde. Die Zeit verging, der Krieg wurde nun auch
in der Heimat zu einer ständigen Bedrohung, alles ging drunter und drüber. Und plötzlich war Josef verschwunden, einfach
weg ohne Abschied. Am Kriegsende ging sie zurück in ihre Heimatstadt
Heidelberg, die von den Amerikanern besetzt und kaum zerstört war. Wie sie es
schaffte nie, aber auch gar nie über die Jahre wo sie weg war befragt zu werden
bleibt ein Geheimnis. Sie arbeitete in verschiedenen Kliniken zur vollen
Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten war aber sehr unnahbar und ausserhalb des
Dienstes sehr wortkarg. Sie lebte bei ihren Eltern in ihrem ehemaligen
Mädchenzimmer, ihre beiden Brüder waren, und blieben, verschollen. So etwa
neunzehnhundert und siebzig wurden beide Eltern pflegebedürftig, und kosteten sehr viel Geld. Sie wechselte in ein privates
Alters und Pflegeheim wo sie vor allem Nachtdienst versah, damit sie tagsüber
zu Hause zum Rechten sehen konnte. Und da fing sie an sich zu sagen, ich habe
doch gelernt wie man den Gnadentot human herbeiführt, ich war immer die Beste.
Und wenn ich sehe wie die Angehörigen mit den Eltern umgehen, wenn sie
überhaupt je kommen, müssten die doch froh sein dass jemand ihnen hilft ihre
Freizeit anderswo zu verbringen als im Heim Mutter oder Vater zu besuchen, die
sie ja kaum noch erkennen. Aber wie kann ich Hilfe anbieten und dafür entlohnt
werden ohne selbst Probleme zu bekommen? Abends kamen eher die Söhne zu Besuch,
Helga war dann oft allein im Dienst, es kam zu Gesprächen in der Art : wenn die
arme Mutter oder der kranke Vater doch nur sterben könnte er selbst kann es
nicht mehr sagen aber früher sagte er immer er wolle nicht dahinvegetierten,
aber eben jetzt ist er, oder sie, nicht mehr so richtig bei Verstand. Und da suggerierte
Helga, es wäre schon möglich und sicher auch gnadenvoll etwas zu tun aber…die
meisten Männer verstanden recht schnell und da es ja ein Heim für sehr gut
betuchte war … Es dauerte mehrere Jahre
bis ein neuer junger Arzt stutzig wurde. Helga war auch mit der Zeit
leichtsinnig geworden und statt die bewährte Methode mit Kalium oder Insulin
wählte sie der Einfachheit halber Phenobarbital, das war unklug und brachte sie
ins Gefängnis, und bald darauf in eine psychiatrische Anstalt, denn sie konnte
bestens geistige Verwirrung simulieren. Bei ihrem Prozess kam endlich ihre
Vergangenheit zu Tage, es war zwar interessant, nützte aber nichts da sie als
nicht zurechnungsfähig galt, sie blieb in der Psychiatrie.
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