Samstag, 7. Februar 2015

Todespflegerin

Wie, fragte sie sich schon seit langem, ja wie konnte sie ihre Erfahrung zu Geld machen,  denn Geld brauchte sie dringend, waren doch ihre gebrechlichen Eltern zu versorgen. Als junge Krankenschwester hatte sie in einem Heim für Geisteskranke gearbeitet. Es war die Zeit des Nationalsozialismus. Politisch war sie absolut uninteressiert. Sie machte die ihr aufgetragenen Arbeit sehr gewissenhaft, gehorchte der Oberschwester und stelle nichts in Frage. Eines Tages wurde sie ins Büro der Oberschwester gerufen. Wir sind sehr zufrieden mit deiner Arbeit—junge Schwestern wurden von der Oberschwester geduzt—und können dir eine bessere Arbeit anbieten.                             Hier Obersturmbannführer Schulze wird dir alles erklären. Es folgte ein Monolog über Rassenreinheit, nicht lebenswertes Leben, göttliche Fügung und viel mehr wirres zusammengewürfeltes Halbwissen. Die Oberschwester nickte meist bejahend zu diesen Ausführungen. Helga, so hiss unsere Jung Schwester, wurde es ganz wirr im Kopf, sie fragte sich was die von ihr wollten. Gut sagte die Oberschwester, ab Montag arbeitest du in einer  Klinik in der Nähe von Weimar, wo du im Personalhaus untergebracht wirst; übrigens gratuliere ich dir zu diesem raschen Karrieresprung, du wirst viel mehr Geld kriegen. Sie begann ihren Dienst am besagten Montag. Zuerst war Schulung angesagt, mit drei anderen jungen Schwestern musste sie täglich acht Stunden lang verschiedenen Ärzten, Pflegern, Schwestern und vor allem Parteifunktionären zuhören. Es ging wieder um Rasse, lebenswertes Leben, Reinheit und so weiter, alles ein wenig verwirrend. Ja vieles leuchtete ein anderes war schockierend. Dann wurde sie auf Station eingeteilt, wo sie zuerst einmal nur zuschauen musste, wie die Ärzte die Patienten testeten und auswählten, die einen konnten bleiben die anderen kamen in eine andere Klinik. Die welche blieben wurden nach kurzer Zeit schon durch Injektionen dem Gnadentod zugeführt, erlöst wie der Sprachgebrauch hier war. Sie wurde immer wieder von der Oberschwester und den Ärzten gelobt wie human sie ihre Pflicht erledigte. Besonders ein Arzt war ganz begeistert von ihr, lud sie dann auch einmal zu Kaffee und Kuchen ein. Sie war doch sehr beeindruckt von seinen guten Manieren und vor allem von seinem schönen Auto, wer hatte denn damals schon ein Auto? Wohl nur ein wichtiger Arzt! Trotz dem ihr ihre Schwesterntracht vorzüglich zu Gesichte stand, liebte sie die Kleider die Josef  ihr aus Berlin bestellte, aber im Besonderen die seidenen Dessous und Strümpfe. Vor ihren neuen Mitschwestern musste sie dies allerdings geheim halten, dies war einfach, wohnte sie doch schon bald bei ihrem Josef in einer sehr schönen Dienstwohnung. Josef hatte zwar in Berlin Frau und drei gesunde reizende Kinder die er allerdings nur selten besuchte. Hatte sie Gefühle für Josef oder war es nur sehr angenehm die auserwählte zu sein? ja solche Fragen stellte sie sich nie, dass sie mit ihren blonden Locken und ihren strahlend blauen Augen die einzig mögliche Wahl für Josef gewesen war hatte sie, bei aller Bescheidenheit, doch sofort  gemerkt. An den Wochenenden fuhren sie oft an die See oder in die Berge, manchmal auch nach Berchtesgaden wenn Josef dorthin beordert wurde. Die Zeit verging, der Krieg wurde nun auch in der Heimat zu einer ständigen Bedrohung, alles ging drunter und drüber.  Und plötzlich war Josef verschwunden, einfach weg ohne Abschied. Am Kriegsende ging sie zurück in ihre Heimatstadt Heidelberg, die von den Amerikanern besetzt und kaum zerstört war. Wie sie es schaffte nie, aber auch gar nie über die Jahre wo sie weg war befragt zu werden bleibt ein Geheimnis. Sie arbeitete in verschiedenen Kliniken zur vollen Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten war aber sehr unnahbar und ausserhalb des Dienstes sehr wortkarg. Sie lebte bei ihren Eltern in ihrem ehemaligen Mädchenzimmer, ihre beiden Brüder waren, und blieben, verschollen. So etwa neunzehnhundert und siebzig wurden beide Eltern pflegebedürftig, und kosteten sehr viel Geld.       Sie wechselte in ein privates Alters und Pflegeheim wo sie vor allem Nachtdienst versah, damit sie tagsüber zu Hause zum Rechten sehen konnte. Und da fing sie an sich zu sagen, ich habe doch gelernt wie man den Gnadentot human herbeiführt, ich war immer die Beste. Und wenn ich sehe wie die Angehörigen mit den Eltern umgehen, wenn sie überhaupt je kommen, müssten die doch froh sein dass jemand ihnen hilft ihre Freizeit anderswo zu verbringen als im Heim Mutter oder Vater zu besuchen, die sie ja kaum noch erkennen. Aber wie kann ich Hilfe anbieten und dafür entlohnt werden ohne selbst Probleme zu bekommen? Abends kamen eher die Söhne zu Besuch, Helga war dann oft allein im Dienst, es kam zu Gesprächen in der Art : wenn die arme Mutter oder der kranke Vater doch nur sterben könnte er selbst kann es nicht mehr sagen aber früher sagte er immer er wolle nicht dahinvegetierten, aber eben jetzt ist er, oder sie, nicht mehr so richtig bei Verstand. Und da suggerierte Helga, es wäre schon möglich und sicher auch gnadenvoll etwas zu tun aber…die meisten Männer verstanden recht schnell und da es ja ein Heim für sehr gut betuchte war …  Es dauerte mehrere Jahre bis ein neuer junger Arzt stutzig wurde. Helga war auch mit der Zeit leichtsinnig geworden und statt die bewährte Methode mit Kalium oder Insulin wählte sie der Einfachheit halber Phenobarbital, das war unklug und brachte sie ins Gefängnis, und bald darauf in eine psychiatrische Anstalt, denn sie konnte bestens geistige Verwirrung simulieren. Bei ihrem Prozess kam endlich ihre Vergangenheit zu Tage, es war zwar interessant, nützte aber nichts da sie als nicht zurechnungsfähig galt, sie blieb in der Psychiatrie.

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