Mittwoch, 5. August 2015

Die Last der Herkunft

Er, nennen wir ihn Sebastian, stammte aus einer sehr einfachen Familie. Die Vorfahren waren von Italien nach Frankreich, ins Departement du Doubs ausgewandert. Der Urgrossvater hat in Sochaux in der Peugeot-Fabrik gearbeitet. Auch der Grossvater  war in der Fabrik angestellt. Sebastians Vater wanderte in die nahe Schweiz aus, wo er beim Importeur der Peugeot-Autos als „ Homme a tout faire“   „ einfachster Angestellter“ oder auch "bring mir hol mir" genannt arbeitete, dies war besser als in der Fabrik aber doch nicht viel besser. Sebastian fiel dem Lehrer schon sehr früh auf, so ein intelligenter Schüler war in Bure, dem Wohnort der Familie sehr ungewöhnlich. Sebastian wurde vom Lehrer sehr gefördert, es brauchte alle Überredungskunst des Lehrers und einige Flaschen Wein, um den Vater zu überreden—überzeugen konnte man ihn ja nicht—Sebastian aufs Gymnasium im nahen Porrentruy gehen zu lassen (von schicken kann keine Rede sein). Sebastian bestand das Gymnasium mit Auszeichnung und ging dann, dank eines grosszügigen Stipendiums der Familie Burrus—Besitzer der Tabakfabrik in Bonfol—zum Wirtschaftsstudium nach Genf. Jahre später, er war zuerst –wohl aus Dank—einige Zeit bei Burrus gewesen, wurde er, noch in jungen Jahren, Direktionsassistent der Schweizer Niederlassung eines  mittelgrossen französischen Handelsunternehmen. Nach der Pensionierung des Direktors rutschte er nach und wurde Chef der Schweizer Filiale. Die ersten Jahre waren problemlos, die mit seinem Vorgänger gealterten Mitarbeiter waren ja alle noch da, doch als allmählich einer nach dem anderen in Rente ging fingen die Probleme an. Sebastian hing seine familiäre Herkunft wie eine zweite Haut an, er konnte nicht über den Schatten seiner Familie springen. Er ersetzte—sicher unbewusst—die guten Mitarbeiter die nun in Rente gegangen waren mit schwachen Jasagern, die eine Stelle aber keine Arbeit suchten und ihm nicht gefährlich werden konnten. Die Geschäfte gingen weiterhin gut, oder mindestens zufriedenstellend, bis, ja bis zufällig ein cleverer Mann von Sebastian angestellt wurde. Dieser neue Mitarbeiter erfasste die Lage sofort, er merkte dass Sebastian sich an seinen Direktionsstuhl klammerte und vor Angst seine Stelle zu verlieren zu allem bereit war. Der neue nutzte dies schamlos aus und machte Sebastian—den einst so brillanten Hochschulabsolventen—zur Marionette. Sebastian wird sicherlich bis zur Rente auf seinem Direktionssessel kleben ohne je etwas Innovatives in Angriff zu nehmen.

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