Es war Abend kurz nach neun
am neunten November. Schneeregen und ein eisiger Wind trieben die Menschen
in die warmen Wohnungen. Nur zwei einsame Gestalten gingen von je einer Seite
auf die Brücke zu. Diese lange Brücke war eigentlich für den Verkehr gesperrt
es war die Verbindung die von einer Seite des Flusses über die Bahnlinie und
die danebenliegende Autobahn die beiden Seiten dieser trostlosen Industriestadt
im Norden des Landes verbinden sollte.Es war noch eine Baustelle von vielen
hundert Metern Länge. Die Arbeiten verzögerten sich wegen politisch bedingtem
Streit um die Nutzung die einst zugelassen würde. Die Grünen und die Linken
Parteien, sowie die meisten Jugendlichen, waren für eine reine Fussgängerbrücke
mit Fahrrad und Skatebord Weg ,die anderen Parteien für eine reine Autostrasse
um die Stadtteile beider Seiten des Flusses schnell und sicher miteinander zu
verbinden. Dieser Streit dauerte nun schon das ganze Jahr sodass die Baustelle
verlassen war und nachts von dunklen Gestalten bevölkert wurde; allerdings war
es doch sehr erstaunlich dass bei diesem Wetter und zu dieser Jahreszeit die
zwei Gestalten zu sehen waren. Die eine
Gestalt entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als Balthasar von seinen wenigen
verbliebenen Freunden Baltz genannt, die andere war Cordula .Sie trafen sich
etwa in der Mitte .Sie kannten sich, so vom Sehen, seit vielen Jahren, ja
eigentlich schon immer. Cordula war die Witwe eines vor mehreren Jahren in
Afghanistan gefallenen Soldaten. Sie hatte zwei Kinder von denen sie nur
äusserst selten ein Lebenszeichen bekam. Ihr Sohn lebte von der Sozialhilfe,
wegen seiner Drogensucht war er nicht fähig sich selbst zu erhalten, ihr
Einkommen als Putzhilfe und die kleine Kriegswitwen Rente reichte nicht um ihm
zu helfen. Doch in dieser dekadenten Gesellschaft kann der Nichtsnutz ja recht
gut vom Staat leben, dies lastete schwer auf Cordula; auch dass die Tochter,
die in einer anderen Stadt in sehr guten Verhältnissen lebte, sich ganz von ihr
abgewandt hatte, bedrückte sie, sie war tief traurig. Ihr blieb eigentlich
nichts, und nun war auch noch Frieda ihre Katze tot, einfach vor dem Haus
überfahren worden, von dem Müllauto!
Baltz war Arzt, er war Chirurg gewesen, orthopädischer Chirurg. Gewesen!
Und das war so gekommen. Er hatte schon immer gerne getrunken, hatte sich aber
während seines Studiums und seiner Ausbildungszeit zum Facharzt so weit im
Griff gehabt ,dass er dann eine gut gehende Praxis führen konnte, ohne dass es durch sein
Trinken zu Problemen kam. Er war auch Klub Arzt von mehreren
Sportvereinen und begleitete die Teams auf den Reisen zu den verschiedenen
Auswärtsspielen. Bei solchen
Gelegenheiten kam es zu Alkoholexzessen, ob nun Siege gefeiert wurden, oder
über Niederlagen hinweggetröstet werden mussten. Allmählich verlor er das Vertrauen der
Klubleitung, sein Erzfeind und Rivale, seit ihrer gemeinsamen Ausbildungszeit,
wurde neuer Klub Arzt, zuerst beim Fussballklub dann beim Hockey Verein. Diese
bittere Niederlage besiegelte seinen Absturz. Seine Praxis kam in Schieflage
und was noch schlimmer war, seine Operationen gingen meist schief. Nach wenigen
Jahren wurde ihm die Praxisbewilligung entzogen, seine Frau verliess ihn und
zog mit seinen Kindern, die in der Schule und beim Spiel geächtet wurden, in
eine andere Stadt. So trafen sich diese beiden düstern Gestalten
auf dieser Brücke. Baltz war erstaunlicherweise nicht betrunken,
ganz nüchtern allerdings war er wohl seit Jahren nie mehr, aber er schien fast
nüchtern, sie sahen sich mit wissendem Blick an. Ja was wollte man schon in
solche einer Nacht auf der Brücke. Cordula
war die erste die murmelte: ich hab’s einfach satt, kann nicht mehr es ist
Endstation. Baltz pflichtete ihr
bei: ach ja es ist fürchterlich, selbst das Trinken macht mir keinen Spass
mehr, ich geb’s auf.Cordula daraufhin: was habe ich denn falsch gemacht, nichts alles ist
einfach so gekommen, Mann gefallen, Sohn ein Junkie, Tochter abgehauen und dann
noch meine Katze überfahren, ich mach Schluss. Daraufhin Baltz: bei mir ist es ganz anders, ich bin an allem schuld,
oder nein das Saufen ist schuld aber weil ich mit dem Saufen nicht
schlussmachen kann mach ich ganz Schluss. Aber wie und wo? ins Wasser springen
will ich nicht, also auf die, zu dieser Zeit nur noch schwach befahrene
Autobahn oder doch vor den Schnellzug? auf alle Fälle muss man genau abwarten
bis der Zug oder ein Auto in Sicht ist.
Cordula:
ich geh ins Wasser, schwimmen kann ich nicht und dort ist es sicher ruhig und
ich störe keine anderen Menschen. Baltz: warum Rücksicht nehmen, die anderen
haben auch keine Rücksicht genommen, es wird die Bahn! Das stört viele Menschen
und dauert Stunden! es ist keine Rache
am Leben aber doch ein gutes Gefühl. Die Schlagzeilen am nächsten
Tag nicht nur in der Lokalpresse sondern weit über die
Landesgrenzen hinaus:
MYSTERIÖSER DOPPEL
SELBSTMORD AUF DER
UMSTRITTENEN BRÜCKE.
und der Text dazu: was vereinte diese zwei stadtbekannten
Menschen? Haben sie ein politisches Zeichen geben wollen um den Brückenstreit
zu beenden. Ist der neunte November, wegen der Reichskristallnacht und dem
Mauerfall ausgewählt worden? Lauter
offene Fragen die wohl nie beantwortet werden.
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