War es 1984 oder 1985, ach ja es war ja im Weihnachtsurlaub
in Marokko, also vier und fünfundachtzig. Es war das erste Jahresende nach
meiner Scheidung. Freunde hatten mich überredet dazu, ich solle doch nicht
alleine zu Hause zu bleiben. Es war eine nette Bekannte mit ihrem Cousin und
dessen Lebenspartner. In Europa war es damals noch schwierig für schwule Paare
zusammen in einem Hotel Ferien zu
machen, aber in Marokko war dies problemlos. Die Beiden waren schon mehrmals in
Marrakesch im Club Méd. gewesen, immer mit der Cousine im Schlepptau .Ob die
Cousine den beiden einen Dienst erwies indem sie meist mit in den Urlaub kam
oder ob es im Gegenteil die beiden waren welche die arme Cousine, die immer
Pech mit ihren Männern hatte, diese Gefälligkeit anboten, weiss ich auch nach
dreissig Jahren nicht. Die Cousine hiess Mireille und die beiden Jean Jacques
und François. Es war sehr aufheiternd für mich, nach meiner so unerwartet
erfolgten Scheidung, dieses recht, ja wie denn, skurrile, barocke überkandidelte
Dreierverhältnis mitzuerleben. Wir alle
waren so Mitte vierzig, Mireille war nie verheiratet gewesen, auch nie in einer
längeren Beziehung, wer es mit dem oder der anderen nicht aushielt sei
dahingestellt. Mireille hatte, so wie man früher gesagt hätte so richtige
„altjüngferliche—Allüren“ entwickelt; alles war immer kompliziert mit ihr. Jean
Jacques und François waren schon seit langem ein Paar, wobei die Spielregeln
denen sie folgten für „Laien“ schwer zu verstehen war. Trotz einer sogenannt
offenen Beziehung war Eifersucht an der Tagesordnung, ja als Jean Jacques, der
mein Kunde war mich eines Mittags zum Essen in sein Stammrestaurant mitnahm, in
welchem er sich regelmässig mit François traf, reagierte François wie eine
betrogene Geliebte, bis er merkte, dass ich für ihn keine Gefahr darstellte da
ich stinknormal, war und immer noch bin!! Wir wurden gute Freunde. Alle drei
kannten sowohl Marrakesch wie die Umgebung seit Jahren sehr gut, hatten auch
viele Bekannte, dadurch habe ich viel Schönes und Interessantes erlebt und
gesehen. Als die drei nach etwa acht oder neun Tagen zurück zur Arbeit mussten blieb
ich noch zwei Wochen in Marrakesch, da ich noch meinen ganzen Urlaub zu nehmen hatte. Ich lernte viele Leute kennen,
besonders ein Paar das durch seine fröhliche liebenswürdige Art herausstach;
Phillipe und Sylvie. Ein ungleiches Paar, Phillipe war zwar nicht wesentlich
jünger als Silvie, er war Ende dreissig, Silvie etwa zehn Jahre älter, da er aber
viel jünger aussah –er hatte etwas grosser-Junge haftes an sich— fielen sie sofort auf. Sie überredeten mich,
der sonst so etwas, aus Scham, nie macht, zusammen ins Hammam zu gehen; das
Marokkanische Dampfbad. Wir waren die einzigen Gäste im Bad und konnten
ungeniert schwatzen. Phillipe war auch frisch geschieden, seine Frau, eine
Juristin, hatte ihn verlassen und verweigerte ihm Besuche bei seinen Sohn. Die Frau zu verlassen war eine Wohltat
gewesen, den Sohn den er sehr liebte zu verlieren war hart. Aber kämpfen gegen
eine sture konservativ Katholische Richterin war hoffnungslos. Phillipe hatte
ein Studium der Philosophie und Literatur –speziell arabische
Literatur—gemacht, und sprach klassisches Arabisch. Wie er dazu gekommen ist in
einer Bank zu arbeiten—er verstand von Finanzen so viel wie ein Inuit von
Kühlschränken—ist eine eigenartige Geschichte, die er mir im Laufe der nächsten
Tage erzählte. Er hatte mit einem seiner Professoren in klassischem Arabisch
eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut und wurde von ihm eingeladen ihn,
der inzwischen zurück in Riad war und an der dortigen Koranschule
unterrichtete, zu besuchen. Dort lernte er den Direktor einer
französisch-arabischen Bank kennen, der von ihm und seinen Arabischkenntnissen,
oder besser von seiner Affinität zu allem arabischen, so beeindruckt war, dass
er ihn an die Direktion in Paris empfahl. Und so war er, der nichts vom
Bankgeschäft verstand, nach kurzer Zeit einer der Direktoren geworden. Seine Aufgabe
war eher sozial, er musste Kunden auf sehr hohem Niveau betreuen und dazu
brauchte er auch einen gut tönenden Direktorentitel und das schönste daran war,
dass diese sehr angenehme Arbeit ihn vom der mühsamen Pflicht erlöste,
schnodderigen blöden Jugendlichen in irgend einem Provinz Gymnasium Unterricht
zu geben. Eigentlich mochte er Kinder sehr, mit den schon beinahe erwachsenen
Kindern seiner neuen Ehefrau Silvie –ja sie hatten geheiratet—hatte er ein
äusserst freundschaftliches, fast kumpelhaftes Verhältnis. Es waren sehr
lebhafte Urlaubstage mit dem liebeswürdigen Paar und es entstand eine schöne
Freundschaft daraus. Zu jener Zeit war ich häufig in Paris, einer Stadt die ich
sehr liebe. Meist trafen wir uns, sei es bei ihnen zu Hause oder in irgendeinem
netten Restaurant, auch ins Museum oder Konzert gingen wir oft zu dritt, oder
wenn Sylvie in Ruhe kochen wollte, auch nur zu zweit. Nach mehreren Jahren
wurde Phillipe Direktor der Londoner Filiale seiner Bank, zwar hatte er kaum
etwas über Finanzen dazugelernt, dafür gab es ja Spezialisten, aber der Chef
war er. Unter seiner Leitung florierte die Filiale ausserordentlich er zog
alle“ grossen Fische“ aus der arabischen Welt, die in Europa investieren
wollten an Land. Dies blieb von der Konkurrenz nicht unbemerkt, im Gegenteil
.Die grösste Anglo-Arabische Privat-Bank verlor innert kurzer Zeit einige
grosse Anleger an die kleinere französische Konkurrenz, dass ärgerte die
Direktion sehr. Er wurde vom Chef der Konkurrenz—Bank zum Essen eingeladen,
offiziell um einige gemeinsame Probleme zu diskutieren, in Wahrheit aber um Ihn
Phillipe abzuwerben. Das Angebot war unwiderstehlich, drei Mal
mehr als er jetzt hatte. Der utopische Traum,
ein Londoner Stadthaus zu erwerben, rückte in erreichbare Nähe; er hatte ja
schon einige Objekte auf seinen langen Sonntagsentdeckungsspaziergängen mit
Sylvie gesehen. Nach gespieltem langen
Hin und Her liess er sich bezirzen, er unterschrieb einen Vertrag und kündete
seine Chefstelle. Er wurde, wie dies ja in solch einer Situation üblich ist
sofort freigestellt. Nach wenigen Monaten wurde ihm ohne Begründung gekündigt,
einfach so .Die komfortable vertraglich ausgehandelte Abfindung wurde bezahlt
und er wurde fristlos freigestellt. Er hatte schon eine Option auf sein
Traumhaus genommen aber glücklicherweise den Kauf noch nicht abgeschlossen. Dass er die Option
verlor war schmerzlich aber doch zu verkraften. Aber als er erfahren musste,
dass er nur abgeworben worden war um einen erfolgreichen Konkurrenten zu
entfernen und in der City unmöglich zu machen, ging im das schon recht nahe. Er verzieh sich
erst viel später, dass er sich durch das viele Geld hatte blenden lassen. Ich
hatte einige Zeit nichts von ihm gehört, das heisst seit er nach London gezogen
war doch nun meldete er sich wieder. Er war in meiner Nähe in Genf wo ihm ein
Freund in einer kleineren Arabischen Bank eine Stelle vermittelt hatte. Nach
kurzer Zeit bekam er einen festen Anstellungsvertrag und konnte die möblierte
Wohnung verlassen. Sylvie kam nach Genf und sie mieteten eine Wohnung, alles
schien gut zu werden. Nach etwa einem Jahr wo wir uns häufig sahen, hatte er
plötzlich gesundheitliche Probleme, bizarre Probleme. Schnell war die Diagnose
dank einer Computertomografie gestellt, Multiple Sklerose. Rückblickend hatte
er schon zwei Mal ein neurologisches Problemchen gehabt, einige Tage trübes
Sehen und komisch eingeschlafene Finger, hatte es aber, wie wohl die meisten
Menschen nicht ernst genommen, es dauerte ja nur kurz und verschwand ohne
bleibende Symptome. Zu seinem grossen Glück hatte der neue Arbeitsgeber eine
extrem gute und grosse Versicherung abgeschlossen, so konnte er, was die
finanzielle Lage betraf guter Dinge sein. Er entschied sich, nach einem kurzen
Zwischenaufenthalt in Annecy, in seine Heimatstadt Clermont-Ferrand zu ziehen, so
verloren wir uns aus den Augen und die Neujahrsgrüsse schliefen auch irgendwann
ein.
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