Montag, 5. Januar 2015

Mein Freund Paco

Er war mein Freund. Er, Paco, war Arzt, er hatte in Valencia, zur Zeit der Franco-Diktatur, Medizin studiert und war sehr stolz darauf als Sohn eines Unteroffiziers der spanischen Marine ,ob zivil oder militärisch weiss ich nicht mehr, das Examen mit Bravour bestanden zu haben. Nach einem knappen Jahr als Assistenzarzt in einem kleinen Provinzspital fand er durch Freunde, die schon vor ihm ausgewandert waren, seine erste Anstellung in einem kleinen Spital in der Westschweiz. Man muss sich vorstellen was es für einen jungen Mann bedeutete aus dem beinahe mittelalterlichen Spanien in die moderne, kulturell offene  Schweiz zu kommen.                                                                                     In seinem Spital in der spanischen Provinz waren alle Krankenschwestern Nonnen und hier nun waren es Frauen, junge mittelalte und auch ältere Frauen aber eben Frauen. Er fühlte sich, als einziger Assistenzarzt,so wie ein Islamist sich das Paradies vorstellt, umgeben von tausend Jungfrauen. Jungfrauen waren die wenigsten aber erreichbar und ihm zugeneigt die meisten. Ja viele verknallten sich in diesen jungen ein wenig exotisch anmutenden –es war Anfang der Sechzigerjahre— jungen Hidalgo. Und er, ja er hatte ein riesiges Nachholbedürfnis, war es doch damals in Spanien fast unmöglich, ausser mit Prostituierten, sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Er wies keine, aber wirklich keine ab und so kam es wie es kommen musste, ausgerechnet eine Hilfsschwester, um einiges älter als er, wurde die Mutter seines einzig gebliebenen Kindes, es war ein Sohn. Wie damals allgemein üblich musste er heiraten. Sein Schwiegervater war Metzger, er hatte eine Dorfmetzgerei und war nicht erbaut über den ausländischen Schwiegersohn hatte er sich doch für seine Tochter einen Metzger gewünscht der das Geschäft übernehmen würde, denn er war ein alter Vater er hatte seine Tochter mit knapp fünfzig bekommen. Um dem Milieu dieser Familie zu entfliehen wechselte er in ein kleines Regionalspital etwa einhundert Kilometer und eineinhalb Stunden Autofahrt entfernt. Dieses Spital war grösser, es beschäftigte vier andere spanische Assistenzärzte, alles Studienkollegen. Sie alle hatten schon dasselbe erlebt, alle waren schnellstens zum Traualtar gezerrt  worden. Man stelle sich also einmal bildhaft vor ,fünf junge gutaussehende Spanier ,die wöchentlich sechzig bis siebzig Stunden—die damals übliche Arbeitszeit—im Spital mit vielen jungen Frauen zusammen verbrachten und die alle ,in ihren Augen ,reingelegt worden waren—die Antibabypille gab es damals zwar schon—aber die Frauen wollten sich ja einen Arzt angeln! Keiner liebte seine Frau, auf die Kinder waren sie schon sehr stolz aber Liebe ist etwas anderes und hatte,   in der Kultur ihrer Heimat, nichts mit Ehe zu tun.  Die Stellung der Frau ist  nicht auf Gleichberechtigung ausgerichtet wie in der Schweiz; nein der Mann bestimmt alles. Zwei Kulturen prallten hart aufeinander. Paco war der welcher sich in dieser Fünfergruppe am wenigster im Griff hatte, er war absolut triebhaft, denn er liebte die Frauen, alle Frauen, bis zum Wahnsinn. Und das wurde ihm ein Leben lang zum Verhängnis. Als ich ihn kennenlernte war er also Assistenzarzt und ich war junger Aussendienstmittarbeiter einer Pharmafirma. Wir waren uns sofort sympathisch, ich war ein begeisterter Spanienreisender und hatte mit allen seinen Kollegen beste Kontakte. Im Laufe der Jahre gab es einige dieser Spanischen Ärzte die eine eigene Praxis eröffnen konnten, es herrschte damals ein grosser Ärztemangel vor allem in ländlichen Gegenden, andere gingen zurück nach Spanien. Neue Spanier kamen man gab sich die Adresse weiterund alle sowohl die Chefärzte wie auch die Assistenten waren zufrieden. Eines Tages kam Paco, früh morgens nach einer nicht allein verbrachten Nacht, also nicht vom Dienst, nach Hause. Er fand die Wohnung leer keine Möbel keine Bilder nicht einmal Gardienen waren  da geblieben, ausser einem Berg mitten im Wohnzimmer mit allen seinen persönlichen Sachen, Lehrbücher Kleider Fotoapparat Ordner mit Dokumenten Schmutzwäsche Tennisschläger Skis einfach alles was seine Frau nicht brauchen oder verwerten konnte.                   Es kam zur Scheidung, dass er seinen Sohn jahrelang fast nie sehen konnte war das einzige was ihm fehlte und natürlich das Geld das er zahlen musste. Paco konnte, mit Hilfe eines Grossindustriellen in einem Dorf nahe der französischen Grenze eine Praxis eröffnen. Die Praxis war recht profitabel. Jedes Mal wenn ich in die Gegend kam um meine Kunden zu betreuen, lud er mich ein um mit ihm zu Mittag zu essen oder, öfter noch, den Abend im Nahen Frankreich zu verbringen. Er kannte alle guten Restaurants der weiteren Umgebung und liebte luxuriös zu speisen. Aber vor allem kannte er alle auch noch so kleinen Nachtlokale, Bars, Dancings und Absteigen.  Oft waren solche durchzechten Nächte sehr amüsant, manchmal auch recht nervig. Er fuhr auch wenn er reichlich getrunken hatte erstaunlich sicher mit seinem grossen BMW. Ja der BMW war sein grösster Stolz, so ein Auto mit Klimaanlage war damals noch sehr selten, wenn es heiss war fuhr er einfach in der Gegend rum um sich abzukühlen. Schon damals als es noch sehr exklusiv war flog er oft nach Thailand um sich dort der Jugend zu widmen.                                                                                    Jetzt wo er Geld hatte, und nicht mehr im Harem(Spital) arbeitete, ist durch seine Lokalkenntnis sein Jagdgebiet viel grösser geworden, die Ansprüche seiner „Gespielinnen“ sind oft ins Unermessliche gestiegen. Er war ihr williges Opfer. Paco liess sich immer mal wieder von irgendeiner  „Dame“ einlullen, glaubte nun endliche die richtige, echte, ehrliche Liebe gefunden zu haben und liess sich ausnehmen wie eine junge Weihnachtsgans. Er war so blind, dass er einmal fast eine notorische Nutte geheiratet hätte, nur die muskulöse Intervention ihres Zuhälters hat ihn, zum Preis eines blauen Auges, davor bewahrt. Durch meine berufliche Veränderung habe ich ihn dann aus den Augen verloren aber immer wieder einmal  Episoden über sein Leben gehört. Er ist vor einigen Jahren gestorben, die Gegend ist seither um eine schillernde Persönlichkeit ärmer.


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